Die Kraft der Freundschaft
von
whenpaperwhispers
- 21.06.2022
Rezension Die Hundert Jahre von Lenni und Margot
Irgendwo auf der Welt sind alle Menschen, die uns berührt oder geliebt haben oder vor uns davongelaufen sind. [...] Es reicht nicht ein winziges Teilchen im Großen und Ganzen des Lebens gewesen zu sein. [...] Wir wollen dass die Leute uns kennen, dass sie sich an unsere Geschichte erinnern, dass sie wissen, wer wir sind und wer wir sein werden. Und dass sie, wenn wir eines Tages nicht mehr da sind, wissen, wer wir waren. Und deswegen werden wir für jedes Jahr, das wir gelebt haben, ein Bild malen. Hundert Bilder für Hunder Jahre. [...] Lenni und Margot waren hier.
(Zitat: Die Hundert Jahre von Lenni und Margot von Marianne Cronin)
Lenni und Margot wissen, dass sie sterben werden. Als im Krankenhaus ein Raum eingerichtet wird, in dem die PatientInnen malen, basteln und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können, begegnen sich die 17- und die 83-Jährige zum ersten Mal. Es ist der Beginn einer Freundschaft über Generationen hinweg, der Beginn einer Geschichte über das Leben, die Liebe und verpasste Chancen.
Der Titel hat mich als allererstes auf das Buch aufmerksam gemacht und sobald ich den Klappentext gelesen hatte, war ich hin und weg von der grandiosen Idee. Das Cover überzeugt durch die bunten Farbtuper und greift das Thema des Buches auf.
Bereits auf den ersten Seiten, schafft die Autorin es mich durch ihren Schreibstil, der zugleich witzig als auch melancholisch und poetisch angehaucht ist, in den Bann zu ziehen. Ich habe mir einige meiner liebsten Zitate markiert und die Seiten mit Post-Its versehen. Doch besonders zu den Charakteren habe ich schnell eine Verbindung aufbauen können. Lenni ist schlagfertig und witzig, eine Fassade, mit der sie die Schmerzen ihrer unheilbaren Krankheit kaschiert (die übrigens nicht wie in vielen ähnlichen Büchern im Vordergrund steht! Finde ich gut!) Margot ist besonnen, ruhig und findet immer die richtigen Worte. Die Beiden ergänzen sich nicht nur perfekt sondern zeigen auch, dass wahre Freundschaft keine Grenzen kennt.
Wenn die beiden sich im Kunstraum treffen, erzählt Margot Lenni Geschichten aus ihrem Leben: zu jeden Bild, das sie malt, eine. Mit Voranschreiten des Romans erfährt man mehr und mehr über die Frau, die auf ihr Leben zurückblickt - die Dinge, die sie bereut, die Menschen, die sie geliebt und verloren hat, die ungeschönte Wahrheit darüber, dass man manches nicht ändern kann.
Mein Lieblingscharakter des Buches war jedoch Pater Arthur, den Lenni in der Krankenhauskapelle aufsucht. Der religiöse Aspekt des Sterbens wird nicht sehr viel weiter ausgeführt, viel mehr findet Lenni in ihm einen Freund, einen Begleiter und einen Wegweiser, der ihr Beiseite steht.
Als Kritikpunkt wäre aber leider anzuführen, dass ich gerne mehr über Lennis Vergangenheit erfahren hätte, die nur sporadisch angedeutet wird. Dagegen waren Margots Geschichten teilweise etwas langatmig und ich hätte mir eine bessere Balance gewünscht. In ihren Geschichten ist es mir auch schwergefallen, die Charaktere zu greifen zu können, da sie nicht selbst "handeln", sondern ihr Handeln nur von einer dritten Person berichtet wird. Meinem Geschmack nach hätte die Autorin dem Ende auch ein paar mehr Seiten widmen können.
Das Ende hat mich jedoch ein bisschen sehr zu Tränen gerührt, weil ich diesen Personen, die ich so lieb gewonnen habe, gehen lassen musste. Lenni, Margot, Pater Arthur und alle aus dem Kunstraum. Besonders der Epilog hat mir eine kleine Gänsehaut beschert.
Fazit:
Ein schöner Roman über die Liebe, die Schönheit der zweiten Chance, das Leben und die Kraft der Freundschaft. Dass es manchmal nicht fair ist, wie das Leben sein Spiel spielt. Aber dass wir das Schönste aus dem machen sollen, was wir haben. Dass wir die Momente nutzen sollten, die uns bleiben. Große Empfehlung!