Elena Barone, berühmte Paparazza, will es allen noch mal zeigen. Sie will ein Foto von George Clooney schießen - DAS unglaubliche, tolle, irre, skandalöse Bild von Clooney schlechthin: der Star privat, in seiner Villa am Comer See - und mit seiner geheimnisvollen Affäre, über die man tuschelt! Also fährt Elena an den Lago di Como, quartiert sich ein, späht und spioniert, um an Clooney ranzukommen. Das ist schwieriger als gedacht. Elena versucht alles, und mehrere merkwürdige Männer sollen, wollen ihr helfen, bald auch ihre glamouröse Mamma aus Mailand beziehungsweise Titisee. Kein Wunder, dass es rund um den See wilder zugeht als in den Hollywood Hills. Wird Elena in Clooneys Villa gelangen und das Foto bekommen, mit dem sie für immer ausgesorgt hat?
Ein sehr komischer Roman über die ewige Jagd nach Geld und Ruhm und über das Wesen von Männern und Frauen - mit entsprechenden amourösen Spannungen. Alles vor traumhafter südalpiner Kulisse, und mittendrin ein wirklicher Star, George Clooney, natürlich vollkommen unerreichbar - oder vielleicht doch nicht?
Besprechung vom 11.05.2025
Wo steckt George?
Der Concorso d'Eleganza in Cernobbio ist das berühmteste Oldtimertreffen der Welt. Wird auch George Clooney dort auftauchen, der berühmteste Anwohner des Comer Sees? Das hofft jedenfalls Elena Barone, die Hauptfigur in Oliver Maria Schmitts Roman "Komasee", der demnächst bei Rowohlt Berlin erscheint. Ein exklusiver Vorabdruck.
In Cernobbio herrschte gepflegter Ausnahmezustand. War es in dem kleinen Städtchen am Comer See mit der schönen Belle-Époque-Promenade zur Nebensaison so ruhig, dass man das Zähneknirschen der Einheimischen hören konnte, wenn Touristen ihre Parkplätze blockierten, so war heute alles anders. In Harry's Bar an der Seepromenade durften alle Durstigen, die aussahen wie Touristen, warten, bis sie schwarz wurden und danach auch wieder weiß; die Herrenausstatter hatten ihre Schaufenster mit Wagenladungen an Panamahüten befüllt; und die Figaros boten der Damenwelt zum unverwüstlichen Milano-Bob auch gleich die passende Schmuckkollektion an. Wobei im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens sogar die uralten Lire-Preisschildchen wieder Verwendung gefunden hatten. Nur dass die Zahlen nicht mehr für Lire standen, sondern für Euro.
Da aber im Lauf einer kompletten Seesaison wirklich allerhand und noch viel mehr durch Cernobbio hindurchrauschte - das Städtchen lag nicht nur am See, sondern auch direkt an der sagenumwobenen Via Regina, die seit den Römerzeiten die Stadt Mailand via Como mit Chiavenna in den Alpen verband und die gerade erst von den Nutzern eines Internetportals zu einer der befahrenswertesten touristischen Erlebnisstraßen Europas gewählt wurde -, da sich also ohnehin jeden Tag ein endloser Autozug durch die Gemeinde schob, wunderte es weder die Kellner von Harry's Bar noch die Panamahutverkäufer oder gar die Figaros, dass soeben ein Konvoi aus acht Polizeimotorrädern und einem weißen Mercedes-Cabrio unter Blaulicht und Sirenengeheul am stehenden Verkehr vorbei in Richtung Villa d'Este zog.
Faustino stoppte den 300 SL, der angeblich mal Romy Schneider gehört hatte, vor dem Tor zum Hotelgelände, stieg aus und bedeutete dem Portier in freundlichen Worten und unter Verweis auf die im Blaulicht flackernden Carabinieri, sofort die Schranke zu öffnen: "Auf was wartest du noch, du Hornochse!"
Sodann informierte er den Anführer der Kradstaffel, dass der außerordentliche Eskortierungseinsatz nunmehr erfolgreich beendet sei: "Die Präsidentin der Republik Italien dankt euch Männern für euren mutigen Einsatz! Und jetzt Abflug, ihr stuzzicadenti. Signora Meloni ist inkognito und möchte dem Oldtimerzirkus hier unerkannt beiwohnen. Absolute Geheimhaltung, ist das klar? Als Sicherheitschef habe ich bereits alles Nötige veranlasst, arrivederci."
Offiziös salutierte Faustino, lässig legte der Carabiniere zwei Finger ans Helmvisier, gab seinen Leuten das Zeichen zur Umkehr und knatterte mitsamt seiner Eskorte davon.
Elena stieg aus Faustinos Wagen und löste das Kopftuch. "Das war mein erster und letzter Auftritt als Meloni", sagte Elena. "Am Ende muss ich das noch beruflich machen."
"Ich muss jetzt den Wagen anmelden", verabschiedete sich Faustino, "und du wirst vermutlich nach deinem geliebten Clooney Ausschau halten. Ich weiß, dass George heute hier ist, er will einen Oldtimer ersteigern, für seine Sammlung. Check das Gelände und die Gärten, schau aber auch im Hotel nach, er ist Stammgast im Restaurant. Und später, bei der Auktion, weißt du ja, was du zu tun hast. Graciosa, ich verlass mich auf dich. Viel Erfolg!"
Gärtengesäumt lümmelte die Villa d'Este seit Jahrhunderten am Ufer des Comer Sees. Vor ihrer Degradierung zur Luxusabsteige diente die prächtige Patrizierresidenz dem Bischof von Como als Sommersitz und Austragungsort liturgischer Lustbarkeiten zur höheren Ehre Gottes. Später wurde sie von einer unglücklichen Princess of Wales bewohnt, die das Anwesen aus purer Langeweile nach der berühmten Villa d'Este in Rom benannte. Und noch viel später, im Jahr des Herrn 1925, drehte hier ein junger britischer Regisseur namens Alfred Hitchcock seinen ersten Streifen, einen leidenschaftlichen Gartenstummfilm mit dem irren Titel "Irrgarten der Leidenschaft". Da konnte noch keiner ahnen, dass Hitchcocks später Kollege George Lucas ebenfalls mal mitsamt Familie hier absteigen würde. Das See-Setting gefiel Lucas so gut, dass er das Drehbuch, das er gerade dabeihatte, veränderte und seinen neuen Lieblingssee als Drehort einbaute. In "Star Wars: Episode II" kann man das Ergebnis besichtigen.
Heute war Hitchcocks Irrgarten festlich bestückt. Hochwertiges Blech, umschwärmt von hochbetagten Menschen, die alle so aussahen, als seien sie soeben aus einem Ralph-Lauren-Katalog gestolpert. Die Herren trugen Panamahüte und hatten keinerlei Mühe, diese spezielle Aura von entspanntem Reichtum auszudünsten, bei dem selbst die Falten im Leinenanzug wie sorgfältig geplante Designwunderwerke wirkten. Noch wundersamer war nur das wahnwitzige Aufkommen an Strohhüten. Überall Strohhüte, auf jeder Birne einer. Der Strohhut war das offizielle Maskottchen dieser Oldtimermesse namens Concorso d'Eleganza. Heerscharen von Panamahüten flanierten einher und geleiteten großbehütete Damen in bunten Sommerkleidern. Doch konnte weder die Hut- noch die Kleiderabteilung in puncto Eleganz und Extravaganz mit den ausgestellten Schlitten mithalten, die zusammen mehr wert waren als ein voll ausgestattetes Kreiskrankenhaus.
In feinsten Formen floss Blech über Speichenräder und Achtzylindermotoren. Stolze Karossen in Türkisblau, Brillantsilber und Leichenwagenschwarz prunkten mit der selbstsicheren Eleganz des alten Eisens, das sie einerseits unzweifelhaft waren, zu dem sie jedoch längst nicht mehr gehörten. Dafür hatten akribisch arbeitende Restauratoren gesorgt. Lack und Chrom blitzten und blinkten um die Wette, um sich zu den proseccohaft plätschernden Klängen der "Vier Jahreszeiten" ganz der eigenen Prachtentfaltung hinzugeben. Auf dem Rasen residierte ein Streichquartett und fiedelte sich einen. Vivaldibefeuert hüpften die Stare in den Zypressen umher und schissen auf alles. Vom gegenüberliegenden Ufer grüßte stolz der Monte Tre Croci mit Meister Voltas Aussichtsturm.
Livrierte knirschten über die Kieswege und schleppten georderte Getränke, fast alle leuchtend orangerot. Die offensichtliche Beliebtheit von Aperol Spritz belegte eindrucksvoll, dass auch sehr wohlhabende Menschen jederzeit einen durchaus billigen Geschmack haben konnten. Nur dass es ihnen nichts ausmachte, für ein Getränk, das in einem Café in Como rund sieben Euro kostete, ohne mit dem Hut zu zucken, das Vierfache zu bezahlen. Ob George ebenfalls einen Strohhut trug und am Spritzstrohhalm nuckelte?
Zwischen den aufwendig restaurierten Fahrzeugen flanierten nicht minder aufwendig restaurierte Damen. Prall aufgepumpte Lippen blitzten unter ersatzradgroßen Sommerhüten hervor, eskortiert und bewacht von tiefergelegten Rassehündchen an strasssteinbesetzten Leinen in den Händen aufgemotzter Herren in viel zu bunten Hosen. Ausschau haltend, glitt Elena durch die plaudernden Grüppchen. Anscheinend hatte man sich darauf verständigt, ausschließlich über zwei Dinge zu reden: Autos und die Unvermeidlichkeit des Alterns.
"Schau dir diesen Ferrari an, ein 312 PB von 1972, den gibt's gar nicht mehr unter zwölf Mios", sagte einer.
"Hast du schon mal versucht, mit einem neuen Hüftgelenk in einen Ferrari zu steigen?", fragte eine andere.
Zwischen Aperol und Kanapees ging es um Rost, Zylinder und die Vorzüge moderner Prothesen. Auch wenn durchaus Damen zugegen waren, so war dies ganz eindeutig eine Männerveranstaltung, wie Elena auf den ersten Blick registriert hatte. Geschäftig standen die Strohhuttypen in Grüppchen vor Autos herum und gestikulierten sich durch die gängigsten Mansplainergebärden.
Andächtig äugte ein gänzlich strohhutloser Glatzkopf im blaugestreiften Boatingblazer unter die Motorhaube eines Citroëns. Ein Herr in senffarbener Hose und mit Senfresten im Womanbeaterbart tippte mit der Schuhspitze so lange sinnlos gegen den Reifen eines Düsenberg SSJ, bis er von dessen Besitzer zur Ordnung gerufen wurde. Ein anglophon näselnder Nerd mit Indiana-Jones-Lederhut, die Ärmel seines hellblauen Busfahrerhemdes trotz Hitze voll ausgefahren und versiegelt mit goldenen Manschettenknöpfen, erzählte dem Mikrofon eines Kamerateams die bewegende Geschichte, wie er seinen weißen Maserati MC 12 schon vor Jahren einem anderen Mann mit sehr viel Geld für noch mehr Geld abgekauft hatte, weswegen es ihm, dem Lederhut, nun möglich war, vor eben diesem Maserati herumzulungern und Interviews zu geben.
Wo aber blieb Mister Clooney? Von George war weit und breit nichts zu sehen. Elena hatte schon alles abgelatscht, sämtliche Kieswege durch die weitläufigen Gärten, die Pfade zum im See schwimmenden Pool. Niente. Saß er vielleicht seelenruhig in der Bar, im Restaurant? Sie betrat die Lobby des Grand Hotel Villa d'Este durch die Terrassentür, und dann schwanden ihr für ein paar Millisekunden die Sinne.
Offenbar hatte sich jemand ein paar Fotos von Versailles genommen und sich gesagt: "Nein, das sieht doch noch ein bisschen karg und ärmlich aus, lass uns mal 'n Tacken mehr versuchen." Und dann einen Handwerkertrupp mit Eimern voller Marmor, Gold und Versace-Teppichfliesen durch die hallenartigen Gänge geschickt. Ein praller Farbalptraum in Weiß und Blau und Gold. Riesige Marmorstatuen blickten über mannshohe Vasen, von der Decke hing ein abrissbirnenschwerer Kronleuchter, der aussah, als benötigte er einen eigenen Stromgenerator. Selbst das goldglänzende Hinweisschild für die Toiletten war kiloschwer.
Sofort schoss ein Livrierter auf Elena zu und fragte, was er für sie tun könne. Sie ließ sich den Weg zur Bar zeigen und spechtete auf dem Weg dorthin, während sie konzentriert durch den Hochflor watete, in Ballsäle, Konferenzräume, Telefonzellen und Restaurants. Keine Spur von George.
Elena war unzufrieden. Sowohl privat als auch als professionelle Paparazza. Das Interieur dieses Grandhotels sah nicht nur aus wie ein Oligarchenbordell, es würde auch nicht gut aussehen, wenn sie hier einen Topprominenten abschoss. Am Tisch, bei einer Tasse Espresso, schlecht ausgeleuchtet, in dieser perfekten Umgebung - das würde unecht wirken, wie gestellt. Keiner würde ihr das Bild abkaufen. Die Leute mochten keine Paparazzibilder in Innenräumen, das hatten Leserbefragungen eindeutig ergeben. Man wollte dem Promi nicht zu sehr auf die Pelle rücken, ihn nicht zu sehr behelligen. Voyeurismus ja, aber gepflegt. Die besseren Paparazzishots entstanden doch meist im Freien, aus großer Entfernung. Im Vordergrund vielleicht eine abwehrende, abwinkende Hand der Hauptperson; in ihren Augen Verwunderung, Aufregung, Irritation; und das am besten vor einem unscharfen, eher rätselhaften, nichtssagenden Hintergrund. Der durfte nicht ablenken oder gar die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
In der Bar orderte sie einen Negroni. Der passte immer, zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Zur Bestellung wurde eine stattliche Etagère mit Nüsschen, Chips, Oliven und kleinen Pizzaschnittchen gereicht; und natürlich Tarallini, die kleinen Teigkringel, die so schön nach Fenchelsamen schmeckten. Sie liebte dieses vorgezogene halbe Abendessen, das meist gleich für den ganzen Abend reichte. Nein, beim Aperitivo, der obligatorischen Gratisbeigabe zum Drink, machte den Italienern keiner was vor. Bewegt orderte sie einen zweiten Negroni, ließ beide auf ihr imaginäres Zimmer Nr. 112 schreiben und setzte ein ordentliches Trinkgeld mit auf die Rechnung.
"Sagen Sie", sagte sie zum Barista, "ist Mr. Clooney schon hier? Ich bin mit ihm verabredet, schon seit einer halben Stunde, aber ich kann ihn nirgends finden." Der Barmann zuckte mit den Schultern, und auch sein herbeigerufener Kollege wusste nichts.
Vom Gang her drang Gelächter. Ein freundlich sonores Männerlachen, das ihr bekannt vorkam. Ziemlich bekannt, sie hatte es in Filmszenen und hunderte Male auf Youtube-Interviewclips gehört. So lachte nur einer. George!
Der Concorso d'Eleganza 2025 findet vom 23. bis 25. Mai in Cernobbio statt. (concorsodeleganzavilladeste.com)
"Komasee" von Oliver Maria Schmitt erscheint am 13. Mai bei Rowohlt Berlin, 319 S.
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