Interview: Sechs Fragen an Fred Vargas

Fred Vargas, geboren 1957, ist ausgebildete Archäologin und hat Geschichte studiert. Sie interessierte sich anfänglich für die Frühgeschichte, bis sie ihre Leidenschaft für das Mittelalter entdeckte. Fred Vargas ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin mit internationalem Renommee. 2004 erhielt sie für "Fliehe weit und schnell" den Deutschen Krimipreis, 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk.
Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem neuen Roman gekommen?
Zu meiner eigenen Überraschung und auf die Gefahr hin, dämlich zu erscheinen, sind es die Ideen, die mich finden. Und ich kann Ihnen versichern, dass diese Tatsache das Einschlafen nicht erleichtert. Abends im Bett sehe ich ganze Szenen vor meinem inneren Auge, ich höre Dialoge. Manchmal fliegen sie gleich davon, manchmal halten sie sich fest. Bei Das barmherzige Fallbeil haben sich zwei Bilder festgekrallt: einerseits ein Drama in Island, wo ich noch nie war, und anderseits die Lust, einen Nachfahren der Pariser Henkersfamilie Sanson als Figur zu nutzen. Ein verstörter Kerl, dessen Urahnen sowohl Ludwig XVI. und Marie-Antoinette als auch die Revolutionsväter hingerichtet haben.
Aber Ihre Muse hat Sie ausgetrickst, und Robespierre hat die Rolle des armen Sansons eingenommen...
So ist es! Er tauchte auf und sagte mir: "Du wirst über mich schreiben!" Aber ich wollte nicht. Wie sollte ich Island und Robespierre in einem Roman zusammenführen? Dann gelang es mir doch. Man muss auch zugeben, dass ich Robespierre seit der Kindheit kenne. Mein Vater gehörte zu den Surrealisten, und diese historische Figur hat diese Kunstbewegung sehr beschäftigt. Es ist sogar überraschend, dass er sich nicht früher Zugang zu meinen Büchern verschafft hat.
Warum bleiben Sie immer denselben Figuren treu?
Für einen Autor ist es interessant, eine Figur weiterzuführen, ohne sich zu wiederholen ¿ und ohne potenzielle neue Leser unterwegs zu verlieren. Ich habe mir einen Satz von Jean Renoir gemerkt, der mir entspricht: "Ein Regisseur macht nur einen Film in seinem Leben. Dann zerbricht er ihn in Einzelstücke. Und setzt ihn dann wieder zusammen."
Welcher Ihrer Figuren fühlen Sie sich am nächsten?
Eigentlich erkenne ich mich in keiner meiner Figuren wieder. Mit Jean-Baptiste Adamsberg habe ich sozusagen einen spiegelverkehrten Doppelgänger geschaffen. Er ist nicht unmenschlich, aber alles prallt an ihm ab. Er ist eine unbekümmerte Figur. Ich bin das absolute Gegenteil davon. Bevor ich einen Film gucke, überprüfe ich, ob er ab zehn oder zwölf Jahren zugelassen ist ¿ ich kann Gewalt nicht ertragen. Aber zu Adamsbergs Stellvertreter, Adrien Danglard, hat mich wahrscheinlich mein Vater inspiriert.
Schreiben Sie nach wie vor mehrere Fassungen ein und desselben Romans?
Die erste Fassung, bei der ich mich nur um die Geschichte und die Zeitabläufe kümmere, geht ziemlich schnell. Dann ändere ich den Ton. Und kein Satz der ersten Fassung überlebt bis zum Schluss. Ab der fünften Version gebe ich meiner Schwester den Text zum Gegenlesen. Beim letzten Durchgang (manchmal ist es der zehnte), der wie beim Kochen minutiös durchgesiebt wird, setzen wir uns acht bis neun Stunden lang zusammen, legen jede Redewendung auf die Waagschale und verhandeln Seite um Seite über jedes Wort.
Leiden Sie unter Babyblues, wenn Sie Ihr Manuskript abgegeben haben?
Nein, nie. Von dem Moment an, da ich den Schlusspunkt ans Ende der ersten Fassung gesetzt habe, bin ich glücklich und erleichtert, auch wenn ich weiß, dass noch viele Monate Arbeit vor mir liegen. Nein, das, was ich nicht mag, ist, wenn ich meinem Verlag mein neues Buch abgegeben habe und nicht weiß, was danach kommen soll. Es ist, als wäre ich plötzlich arbeitslos.
Fred