Im Gespräch mit Theresa Amrehn
Wer ist ihnen noch nicht begegnet? Den seltsam anmutenden Menschen, die mit ihren meist schwarzen Schlaghosen, dem Wanderstock in der Hand und dem Hut auf dem Kopf wie aus der Zeit gefallen wirken: Wandergesellen. Was ist das für eine Tradition und warum sehen die Reisenden so aus, wie sie aussehen? Theresa Amrehn war dreieinhalb Jahre auf Wanderschaft durch Europa - ohne Geld und Handy. In ihrem Buch "Königin der Landstraße" erzählt sie als Resi Kirchenmalerin von ihrem Entschluss als Frau auf die Walz zu gehen, und den großen und kleinen Abenteuern, die sie auf ihrer Reise erlebte.
Wann hast du dich entschieden auf Wanderschaft zu gehen?
Während meiner Ausbildung zur Kirchenmalerin hörte ich zum ersten Mal von der Möglichkeit auch als Frau auf Reisen zu gehen. Irgendwann überkam mich die Sehnsucht etwas Neues zu erleben, und der Enge des Dorflebens zu entfliehen. Ich wollte mehr vom Leben kennenlernen und mich menschlich wie beruflich weiterentwickeln, da dachte ich dann das erste Mal intensiv daran auf Wanderschaft zu gehen.
Wie wurdest du Wandergesellin?
Ich war in einer Discothek und da kamen plötzlich drei Wandergesellen zur Tür hinein. Ich habe sie dann einfach angesprochen, ob sie mich auf Wanderschaft mitnehmen. Natürlich ist es nicht so einfach, nur das wusste ich damals noch nicht. Ich musste mir erstmal einen Exportgesellen suchen, der mich "losbringt". An einem Novembertag 2007 ging es dann los, mit weiteren Wandergesellen und nur mit dem nötigsten bepackt verließ ich mein Heimatdorf. Wie es die Tradition will, musste ich über das Ortsschild klettern. Unten standen die Wandergesellen, die mich in ihren Armen auffingen und mich damit in ihre Wanderfamilie aufnahmen. Hinter dem Ortsschild ließ ich meine Familie zurück. Mindestens drei Jahre und einen Tag durfte ich von nun an keinen Fuß mehr in meine Heimat und einem Umkreis von 50 Kilometern setzen.
War das nicht ein komisches Gefühl?
Ja, aber es ist wichtig, dass man sich davon löst. Ich konnte meine Familie und meine Freunde ja außerhalb des Bannkreises wiedersehen und das haben wir auch gemacht. Wir haben uns irgendwie verabredet - ich war ja ohne Handy unterwegs - und meine Mutter und meine Schwestern sind dann irgendwo hingefahren, um mich dann zu treffen. Ich habe viele Menschen, vor allem Wandergesellen, auf Reisen getroffen, die für mich eine Art Ersatzfamilie waren und mir ein Gefühl von Geborgenheit gaben. Trotzdem überkam mich natürlich immer mal wieder die Sehnsucht nach Hause und vor allem nach dem guten fränkischen Essen.
Was kam nach dem Losgehen?
Mein Exportgeselle und ich verbrachten die ersten zwei Monate gemeinsam. Er führte mich in die Traditionen der Walz ein. Ich wurde in einer feierlichen Zeremonie in einer Kneipe genagelt, das bedeutet mir wurde ein Nagel in mein linkes Ohr geschlagen, in welches ich ein Ohrring bekam. Übrigens stammt daher auch das Wort "Schlitzohr": Wenn sich ein Wandergeselle unehrenhaft verhält, wurde früher der Ohrring herausgerissen. Ich wurde auch in die anderen Geheimnisse der Walz eingeführt, bspw. lernte ich die Wandersprüche auf Rotwelsch aufzusagen. Rotwelsch ist die Sprache der Straße. Wir geben die Sprüche mit denen wir um ein Bett, Arbeit oder andere Dinge bitten, nur mündlich weiter, niemals verschriftlichen wir diese. Außerdem bekam ich von meinem Altgesellen das Wanderbuch, die sogenannte "Fleppe" ausgehändigt, in das ich von nun an Stempel der einzelnen Städte, die ich besuchte, sammelte und ich musste mir einen Wanderstock suchen, den "Stenz", der mich von nun an begleitete. Irgendwann trennten sich dann die Wege meines Altgesellens und mir, und ich war auf mich allein gestellt.
Was war für dich das abenteuerlichste auf deiner Wanderschaft?
Morgens in München aufzuwachen, und abends in Flensburg einzuschlafen - jeden Tag auf das Neue ohne Plan zu sein, tausende Möglichkeiten zu haben und zu machen auf was ich Lust habe. Der Teil eines Mythos zu werden, war ein abenteuerliches Gefühl. Natürlich gibt es viele kleine Situationen, die die Walz zu einem großen Abenteuer gemacht haben, gerade als Frau - die erste Nacht ohne ein Dach über dem Kopf, Verabredungen ohne Handy zu treffen oder unangenehme Begegnung beim Trampen zu haben.
Was hast du von der Wanderschaft mitgenommen?
Ich finde ich kann viel unvoreingenommener auf Menschen zu gehen. Unter Wandergesellen sind bis auf die Unterschiede in den Farben der Kluft alle ja irgendwie gleich. Im echten Leben hätte ich manche Menschen nie kennengelernt so wie beispielsweise meine "Tippelehefrau" Birgit. Auf der Walz sind wir die besten Freundinnen geworden. Wir sind viele Monate miteinander gereist, waren für uns gegenseitig da und haben eine tolle Zeit auf Sommerbaustellen oder Geselltreffen miteinander verbracht. Letztendlich habe ich aber auch gemerkt, dass die Sehnsucht nach einem Ort schöner ist als wieder dort zu sein. Nach meiner Heimkehr war ich unruhig, ich sehnte mich wieder nach dem Leben auf der Straße und habe erstmal eine Zeitlang gebraucht um wieder Wurzeln zu schlagen.