Tout le monde im Grand Hotel

Tout le monde im Grand Hotel


Exklusiv-Interview mit Brigitte Glaser

Zwei Frauen mit Vergangenheit und gegensätzlichen Interessen, ein geheimer Auftrag: Das ist die Ausgangssituation von Brigitte Glasers großartigem Roman "Bühlerhöhe", der auf historischen Hintergründen basiert. Die Autorin versteht es virtuos, Weltgeschichte, die Zeitstimmung Anfang der 50er Jahre in Deutschland und persönliche Schicksale zu verbinden - mit raffiniert ausgefeiltem, krimireifem Plot. Spannender kann man Geschichte nicht zum Leben erwecken.

Die "Bühlerhöhe" im Schwarzwald ist eine der feinsten Adressen hierzulande. Was macht das Grand Hotel zur idealen Romankulisse?
In einem Grand Hotel trifft sich tout le monde, da ist alles möglich. Ein wunderbares Setting mit großartigen Vorbildern wie Vicky Baums "Menschen im Hotel" oder Sorrentinos Film "Ewige Jugend".

Die dramatischen Ereignisse in ihrem Roman spielen sich Anfang der 1950er Jahre ab. Was ist an dieser Zeit für Sie besonders interessant?
Die frühen 1950er Jahre sind eine Zwischenzeit. Der Krieg ist vorbei, aber noch ist er allgegenwärtig. Das Wirtschaftswunder kündigt sich an, ist aber noch nicht da.

Was hat Ihrer Einschätzung nach das politische und gesellschaftliche Klima damals am meisten geprägt?
Der Blick nach vorne, und damit verbunden das große Verdrängen. Zudem die absurde Haltung vieler Deutschen. Man fühlte sich als Opfer des Krieges und nicht als Verursacher oder Täter.

Sie entwerfen ein großes Panorama und verbinden Weltgeschichte und persönliche Schicksale. Welche Idee stand am Anfang Ihres Romanprojektes?
Ich komme aus der Gegend und habe viele Geschichten von den Höhenhotels und von jüdischen Gästen vor und nach dem Krieg erzählt bekommen, auch von der so genannten Wiedergutmachung. "Oral Histories" sind aus der Sicht des Erzählers immer wahr. Aber stimmen sie wirklich? Was geschah de facto als "Wiedergutmachung" des Holocaust in den frühen 1950er Jahren? Mit dieser Frage bin ich mitten in der Politik der jungen BRD und des jungen Staates Israel gelandet.

Sie schildern sehr lebendig die Weltbilder, Sorgen und Sehnsüchte ihrer Romanfiguren aus den unterschiedlichsten Milieus. Wie haben Sie sich damit vertraut gemacht?
Erzählungen von Stiefmutter und Tante, die als junge Frauen auf der "Bühlerhöhe" bzw. dem "Hundseck" gearbeitet haben, sind sicher die "Ursuppe", aus der der Roman entstanden ist. Und natürlich habe ich gelesen, gelesen, gelesen.

Im Zentrum stehen zwei ganz unterschiedliche Frauenpersönlichkeiten. Wie würden Sie Rosa Silbermann und Sophie Reisacher charakterisieren?
Rosa ist eine zurückhaltende, nachdenkliche Frau, die sich nicht gerne in den Vordergrund spielt. Ihre Kraft schöpft sie aus dem Glauben, in Israel eine Heimat für die Juden zu schaffen, und auch aus den sozialistischen Ideen, die ihr Leben im Kibbuz prägen, ihrer Vision von einer besseren, gerechteren Welt. Ihr persönliches Glück stellt sie für diese Ziele hinten an. Für Sophie dagegen ist die Suche nach persönlichem Glück bestimmend. Um das zu finden, ist ihr jedes Mittel recht.
Rosa bekommt einen geheimen Auftrag - und wird ins kalte Wasser geworfen. Worin liegen die Herausforderung und die Chance?
Auf sich allein gestellt zu sein, macht Rosa am meisten zu schaffen. Seit ihrer Ankunft im Kibbuz ist sie gewohnt, in einer Gemeinschaft zu leben, Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Aber wie schon in Palästina wächst sie mit ihren Aufgaben. Sie beißt sich durch den unmöglichen Auftrag, trifft am Ende die richtige Entscheidung.

Rosas Gegenspielerin Sophie Reisacher zieht mit Vorliebe im Hintergrund die Fäden. Worin sehen Sie ihre größten Stärken und Schwächen?
Sophie ist schlau, sie begreift Zusammenhänge, denkt über die Rolle der Frau nach, reflektiert sich selbst. Von allen Frauen des Buches ist sie die modernste. Sie ist aber auch wehleidig, hadert mit ihrem Schicksal, fühlt sich als Opfer und ist dadurch eine typische Vertreterin der Nachkriegszeit.

Im Romangeschehen kommt historischen Persönlichkeiten große Bedeutung zu, vor allem dem Kanzler der jungen Bundesrepublik, Konrad Adenauer. Was war für Sie das Spannnendste und das Erstaunlichste beim Recherchieren?
Auf die Briefbombenattentate zu stoßen, die es im Vorfeld des Bundesentschädigungsgesetztes tatsächlich gegeben hat, war wie ein Sechser im Lotto. Damit hatte ich den entscheidenden Plott-Baustein für meinen Roman gefunden, so bin ich auf das fiktive Attentat gekommen. Sehr spannend war es auch, in die Geschichte des jungen Staates Israel einzutauchen, von der ich wenig wusste. Das Erstaunlichste war die Geschichte von Herta Isenbart, der Gründerin der "Bühlerhöhe", die mir zugetragen wurde.

Nach einer aufwühlenden Begegnung fragt sich Rosa, wer oder was schuld ist an all den schrecklichen Entwicklungen: der "verfluchte Lauf der Geschichte"?
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, wir sind immer Kinder der Zeit, in der wir aufwachsen. Eine deutsche Jüdin in den 1930er Jahren hatte genauso wenig eine Chance, dem "verfluchten Lauf der Geschichte" zu entgehen, wie eine Syrerin heute. Sicher ist in Friedenszeiten der gesellschaftspolitische Einfluss auf das Einzelschicksal geringer oder weniger spürbar, aber er ist auch da.

Würden Sie sagen, Ihr Roman ist auch eine Geschichte unterschiedlicher Überlebensstrategien?
Allen Figuren gemeinsam ist, dass sie versuchen zu verdrängen. ¿Wer nicht vergisst, wird wahnsinnig¿, sagt Rosa Silbermann.
BrigitteGlaser

Das Buch zum Interview

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Bühlerhöhe

Schicksalsjahr 1952: Im Grand Hotel "Bühlerhöhe" herrscht helle Aufregung, denn Kanzler Adenauer hat sich zur Sommerfrische angekündigt. Während alles auf Hochglanz gebracht wird, gilt es hinter den Kulissen, alles Menschenmögliche für die Sicherheit zu tun. Gerüchte besagen, dass ein Attentat auf den Staatsmann geplant ist. Davon wissen nur wenige - darunter die Hausdame Sophie Reisacher und Rosa Silbermann, die im Auftrag des israelischen Geheimdienstes in ihrer alten deutschen Heimat im Einsatz ist. Beide Frauen verfolgen ureigene Pläne - bis zum dramatischen Showdown... Ein facettenreiches Zeitgemälde mit fein gezeichneten Charakteren!