Mit einer kuriosen Mordvorhersage, einer exzentrischen Tante und einem Dorf voller Verdächtiger bietet Das Mörderarchiv auf den ersten Blick alles, was ein charmanter Cozy-Krimi braucht. Die Idee, dass jemand jahrzehntelang mit der festen Überzeugung lebt, ermordet zu werden - und dann tatsächlich stirbt -, verspricht Spannung und Humor. Leider bleibt das Buch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Das liegt vor allem an einer Protagonistin, die den Roman trägt, ohne wirklich Gewicht zu haben: Annie.Annie soll die Ermittlerin der Geschichte sein, doch leider bleibt sie über weite Strecken erstaunlich farblos. Ihre Reaktionen sind oft verhalten, ihr innerer Konflikt eher angedeutet als ausgearbeitet. Sie stolpert mehr durch die Handlung, als dass sie sie wirklich vorantreibt.Statt Neugier, Mut oder auch nur echte Emotion zu zeigen, wirkt Annie häufig... neutral. Dabei hätte gerade ihre Beziehung zu Tante Frances oder ihr Umgang mit der familiären Vergangenheit viel Stoff für Entwicklung geboten. Auch ihre Rolle im Dorf, die Dynamik mit Saxon, ihr Scheitern in der Großstadt - all das wird angeschnitten, aber nie richtig greifbar. So bleibt sie eine Protagonistin, die da ist, aber kaum Resonanz erzeugt.Das ländliche Dorset-Setting ist eines der Highlights des Buches. Das Anwesen, das Archiv, die schrulligen Dorfbewohner*innen - das alles hat Flair. Doch dieser Flair verpufft, weil Perrin es nicht schafft, die Atmosphäre mit echter Spannung zu füllen. Das titelgebende "Mörderarchiv", also die Notizen, die Frances über Jahrzehnte hinweg zu potenziellen Täter*innen gemacht hat, klingt aufregend - spielt aber eine erstaunlich untergeordnete Rolle.Es wirkt eher wie ein Gimmick als wie das zentrale Instrument der Ermittlungen. Annie blättert gelegentlich darin herum, aber richtig genutzt wird es nie. Man fragt sich irgendwann: Warum ist das Archiv überhaupt so wichtig?Ein weiterer Schwachpunkt des Romans liegt im Verhalten vieler Figuren - das wirkt oft wenig glaubwürdig und eher der Handlung zuliebe konstruiert als natürlich. Besonders auffällig ist das bei Annie selbst: Obwohl sie als Krimi-Autorin eingeführt wird (ob sie je etwas veröffentlicht hat, bleibt unklar), zeigt sie keinerlei Gespür für logisches Denken, Spurensicherung oder die Dynamik echter Ermittlungen. Ihre Recherchen bestehen meist aus zufälligen Gesprächen und Bauchgefühl - von strukturiertem Vorgehen oder analytischer Schärfe keine Spur. Noch absurder ist allerdings das Verhalten der Polizei: Statt professionell zu agieren, überlässt sie wesentliche Ermittlungsarbeit einer Laien-Detektivin im Testament-Wettbewerb und wirkt eher wie ein zahnloses Nebenpersonal. Das alles fühlt sich nicht nur unrealistisch an, sondern untergräbt auch die Glaubwürdigkeit der Geschichte - ein Bruch zwischen Anspruch (Mordermittlung) und Umsetzung (lockerer Dorfschnack), der sich leider durch das ganze Buch zieht.Trotz des originellen Setups entwickelt sich die Geschichte vorhersehbar. Die vielen Verdächtigen bringen kaum echte Wendungen und das Ermittlungsduell zwischen Annie und Saxon bleibt seltsam spannungsarm. Es fehlen dramatische Konfrontationen, echte Entdeckungen, kluge Wendungen. Die Auflösung kommt - aber sie reißt nichts heraus, weil es an emotionalem und narrativem Aufbau fehlt. Man zuckt die Schultern und klappt das Buch zu.Kristen Perrin hatte eine wunderbare Idee, ein starkes Setting und ein witziges Grundkonzept. Aber die Umsetzung leidet an einer Hauptfigur ohne inneren Antrieb, einem kaum genutzten titelgebenden Archiv und einer Handlung, die zu oft auf der Stelle tritt. Wer britischen Dorf-Charme mit leichtem Krimi-Flair mag, wird vielleicht unterhalten - wer Spannung, clevere Figuren oder psychologische Tiefe sucht, wird enttäuscht.Das Mörderarchiv ist ein lauwarmer Krimi mit nettem Ton, aber zu wenig Substanz - und einer Heldin, die emotional nie wirklich ankommt.