Vom Schweden, der den Zug nahm und um die Welt reiste

Besprechung vom 01.06.2023

Vom Bummelzug zum Hyperloop

Der schwedische Autor Per J. Andersson hat eine anrührende Ode auf die Fortbewegung auf Schienen, eine Hommage der Bummelbahn und eine Meditation über die Magie der Nachtzüge auf der Suche nach den Urgründen des Reisens geschrieben. Kenntnisreich wird die Gründerzeit der Bahnfahrt beschworen. So verlegte man in England, wo Arbeitskräfte billig und der Boden teuer waren, die Schienen so gerade wie möglich, während man in den Vereinigten Staaten, wo es sich umgekehrt verhielt, mit natürlichen Hindernissen respektvoller umging. Der Band versammelt Aperçus und Anekdoten rund ums Zugfahren wie zur Demokratisierung des Speisewagens als einstige "kunterbunte Versammlung Oberschichtreisender". Das Eisenbahnbrevier porträtiert Reflexionen der Zugreise in Film und Literatur von William Wordsworth bis Agatha Christie. Andersson reist klassischen Routen wie dem in Christies Roman verewigten Orientexpress als Nostalgie-Trip mit Hindernissen und sechsmaligem Umsteigen bis Istanbul nach. Mit Liebe zum Detail rekonstruiert er ferner legendäre Zugfahrten wie Lenins Reise ins revolutionäre Russland von Zürich nach Sankt Petersburg im Jahr 1917, oder er reist mit der Rhätischen Bahn auf den Spuren von Thomas Manns "Der Zauberberg" nach Davos. Am Beispiel der Schweiz als historisch gewachsenem Reiseziel und Bahnparadies rekonstruiert er auch die Geschichte des europäischen Mittelklassetourismus. Die Soziologie der Zugreise und die wegen geringer Wiedersehensgefahr oft persönlichen Gespräche mit Unbekannten schließlich erörtert das luzide Kapitel "Die Begegnung im Abteil". In "Der Zug in die Zukunft" gibt der Autor fundierte Einblicke in Möglichkeitsräume und Träume futuristischer Transportlösungen von der Magnetschwebebahn bis zum Hyperloop. Ein feiner Zug. sg

"Vom Schweden, der den Zug nahm und um die Welt reiste" von Per J. Andersson.

C. H. Beck Verlag, München 2023. 144 Seiten. Broschiert