Besprechung vom 05.09.2025
Gelungener Auftakt zur Gastland-Buchwelle
Jessica Zafra zeichnet in "Ein ziemlich böses Mädchen" ein spöttisches Gesellschaftsporträt der Philippinen
Da die Philippinen das Gastland der Frankfurter Buchmesse sind, ist in diesem Jahr mit neuen Übersetzungen philippinischer Literatur zu rechnen. Eine davon ist im Transit-Verlag bereits erschienen: unter dem Titel "Ein ziemlich böses Mädchen". Die in englischer Sprache schreibende Autorin Jessica Zafra hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht ebenso wie Essays und Kolumnen in diversen Medien, unter anderem im "Manila Standard Today" und im "New Yorker".
In ihrem auf den Philippinen bereits 2020 erschienenen Romandebüt begleiten wir Siony und ihre Tochter Guadalupe (kurz: Guada) in den Achtziger- und Neunzigerjahren durch San Andreas, ein Stadtviertel Manilas. Der Ehemann und Vater Hernani ist "ein Nichtsnutz, ein verlogener Angeber, der einen Telefonmast bumsen würde, hätte der einen Rock an". Er verlässt die beiden Frauen, als Guada vier Jahre alt ist, und schon damals empfindet das kleine Mädchen das weniger als Verlust denn als großes Glück: "Eine bedrückende Schwere hatte sich in Luft aufgelöst wie bei einem Wolkenbruch nach einem brütend heißen Tag." Noch dazu findet Siony einen begehrten Job als Küchenchefin bei der reichen und einflussreichen Familie Almagro, wodurch die beiden in eine neue Wohnung in einer gated community ziehen können und Guada auf eine Privatschule wechselt.
Im näheren Dunstkreis der Oberschicht plant Siony nun den gesellschaftlichen Aufstieg für sich und ihre Tochter, indem sie ein Grundstück in den USA kauft und alles auf Guadas schulischen Erfolg setzt. "Auswanderung war schon immer eine praktikable Option für die ambitionierte philippinische Bourgeoise."
Doch auf diesem Weg ergeben sich Hürden: Guada fühlt sich in der neuen Schule nicht wohl, wird gemobbt, und obwohl sie sehr intelligent ist und ihre Zeit lieber mit Büchern als mit Menschen verbringt, steigt sie in Chemie und Biologie nicht mehr durch: "Eines Morgens auf dem Weg zum Biologieunterricht beschloss Guada, dass sie, falls sie sich noch eine weitere ganze Stunde die chemischen Prozesse des Citratzyklus anhören müsste, Amok laufen würde." Außerdem wird Guada klar, dass ihre Mutter zwar einen gewissen Aufstieg durch ihre Anstellung als Küchenchefin erreicht hat, aber trotzdem Bedienstete der Almagros bleiben und nie selbst dem sozialen Milieu der Oberschicht angehören wird.
Während von Guada erwartet wird, dass sie sich in der Schule anstrengt und durch Fleiß und Disziplin eine Karriere aufbaut, wird den Almagro-Kindern das Leben so leicht wie möglich gemacht. Dass die jüngste Tochter Emilia alles von Guada abschreibt beziehungsweise die Hausaufgaben sogar von der Haushälterin abschreiben lässt, wird nicht nur von der Schule toleriert, sondern sogar gefördert: "Lernschwächen durfte es nicht geben bei Mädchen, deren Eltern der Schule gerade erst ein neues Gebäude spendiert hatten." Zafra gelingt es somit, in ihrem Roman den tief verankerten Klassismus in der philippinischen Gesellschaft zu veranschaulichen - eines der Steckenpferde der Autorin, die unter anderem auf der Leipziger Buchmesse über Sprache und Fiktion als Umgang mit sozialem Auseinanderdriften diskutiert hat.
Im Original lautet der Romantitel "The Age of Umbrage" und nimmt neben den beiden Hauptfiguren auch die zeit- und kulturgeschichtlichen Aspekte in den Fokus, die den Roman bereichern (wodurch der Originaltitel deutlich stimmiger ist als der der deutschen Übersetzung). Die Achtzigerjahre auf den Philippinen unter dem Marcos-Regime sind durch Unruhe geprägt: Einer der führenden Oppositionellen, Ninoy Aquino, wird erschossen, es gibt diverse Putschversuche, und schließlich beginnt am 1. Dezember 1989 der Staatsstreich, "von dem jeder wusste, dass er kommen würde". Trotz der Zuspitzung der politischen Lage bleibt diese im Roman aber nur Hintergrundkulisse, während Siony und Guada weiterhin recht unbeeindruckt ihren Alltag bestreiten: "Filipinos, an zwei Dutzend Hurricans pro Jahr gewöhnt plus diverser Naturkatastrophen, die sich aus der Nähe zu den Vulkanen des Pazifischen Feuerrings ergeben, reagierten auf Gerüchte über einen Umsturz auf genau dieselbe Weise: Sie gingen shoppen."
An Zitaten wie diesem zeigt sich die wunderbar spöttische Sprache des Romans, die zugleich auch sehr bildhaft, bisweilen auch vulgär ist. Zafras bitterer Humor trifft Angehörige der Oberschicht (der Bürgermeister spricht in der "universellen Rhetorik von Arschlöchern") ebenso wie die normalen Leute. So entstehen in Guadas Umfeld liebevoll- lächerliche Figuren wie zum Beispiel die Hausmädchen der Almagros, Teresita und Belen. "Teresita gehörte einer religiösen Sekte an, die ihren Mitgliedern verbot, sich jegliche Kreaturen mit Augen einzuverleiben, eine Regel, die sie jede Woche brach, indem sie in einem Rutsch eine ganze Dose Pringles-Kartoffelchips auffutterte." Belen verfolgt das Ziel, "sich einen Ehemann zu angeln, der für sie sorgen und ihre vielen Brüder, Schwestern, Neffen und Nichten im Schulalter unterstützen würde". Dafür pflegt sie Brieffreundschaften mit zwei Männern in Australien und Kanada und hat bereits von beiden einen Heiratseintrag angenommen: "'Ich werde meine endgültige Entscheidung treffen, wenn sie alle auf die Philippinen kommen', verkündete Belen im vollen Wissen, dass Fotos lügen."
Es sind insbesondere solche Figurengestaltungen und die zwischen Spott und unkonventioneller Metaphorik changierende Sprache, die "Ein ziemlich böses Mädchen" lesenswert machen. Jessica Zafras Roman weckt Vorfreude auf das diesjährige Gastland der Buchmesse und die weiteren Übersetzungen philippinischer Literatur, die bis dahin noch erscheinen werden. EMILIA KRÖGER
Jessica Zafra: "Ein ziemlich böses Mädchen". Roman.
Aus dem Englischen
von Niko Fröba. Transit Buchverlag, Berlin 2025. 144 S., geb.
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