Eine Woche voller Freiheit und Abenteuer
Viele kennen die kleine Anke schon aus dem preisgekrönten "Manno!"-Comic. Inzwischen befinden wir uns im Jahr 1983, Anke ist etwas älter geworden und verbringt mit ihrer Schwester Eva und ihren besten Freundinnen Reiterferien auf einem Gasthof im Odenwald. Ohne Eltern! Die Mädchen schwelgen im Zusammensein miteinander und mit den Tieren, lassen sich die gute Worschtsupp der Bauersfrau schmecken und kichern abends in den dicken Federbetten um die Wette. Anke kümmert sich außerdem hingebungsvoll um das schwache Ferkelchen Wursti.
Alles Idylle? Nein - auch damals gab es die Angst vor dem Krieg. Beim Ausritt donnern die Militär-Tiefflieger über ihre Köpfe. Anke denkt an ihre Mutter, die Friedensdemonstrationen organisiert. Und sie bangt um Wursti - wird es überleben?
Besprechung vom 19.04.2025
Ausflug ins schöne Ostertal
FRANKFURT Werden nun die Touristen strömen - weil ein Comic den Odenwald feiert? Anke Kuhl über ihr jüngstes Buch, das Erzählen über die eigene Kindheit und darüber, wie Kinder auf Erinnerungen reagieren.
Von Eva-Maria Magel
Wenn am Ende eine Seniorengruppe das Lied vom schönen Ostertal im Odenwald anstimmt, möchte man am liebsten gleich mitsingen. Man muss dafür auch nicht steinalt sein. Ein bisschen sehr erwachsen reicht. Anke Kuhl ist Jahrgang 1970, die Senioren auf ihren wundervollen Bildern müssten heute weit älter als hundert sein. Ihre jungen Leserinnen und Leser sind um die zehn - aber wie schon Kuhls Kindheitserinnerungen "Manno!", erschienen 2020, ist auch "Pferde, Tränen, Lachanfälle" ein Comic für alle geworden.
"Ich war mit ungefähr zehn Jahren zum ersten Mal in dieser schönen Landschaft mit ihren lieblichen, waldigen Hügeln und saftigen Wiesen, der Odenwald ist dort wildromantisch", so Kuhl. "Das Ostertal ist nur eine gute Autostunde von meinem Heimatort entfernt und zu einem Sehnsuchtsort geworden, den wir immer wieder gerne besucht haben." Im Mai fährt Kuhl wieder hin und bringt den Wirtsleuten der nächsten Generation den Comic, der soeben bei Klett Kinderbuch erschienen ist. Darin erzählt Kuhl, seit Jahrzehnten Mitglied der Frankfurter Ateliergemeinschaft Labor, von einer herrlichen Woche, die sie 1983 mit ihrer Schwester Eva und ihren Freundinnen Tamara und Annette dort verbracht hat.
Allein auf Reiterferien, mit 12, 13 Jahren, das ist in Bild und Text eine große Sache, mit Galopp auf den niedlich plumpen Fjordpferden über die Wiesen, mit allerhand Missgeschicken und jener Lakonie, die Kuhls Illustrationen und eigene Comic-Bände so erfolgreich machen. Wer aus Frankfurt oder der Region stammt, hat es überdies nicht weit, sich mal rasch auf die Spuren von Anke Kuhls unvergessener Kindheitsreise zu begeben. "Als Kind war ich dort mit meiner Mutter und meiner Schwester, in meiner Jugend mit Freundinnen und später dann mit meinen eigenen Kindern. In all den Jahren hat sich das Tal kaum verändert und ist für mich bis heute ein Ort, an dem ich zur Ruhe komme, der mich glücklich macht und mit dem ich viele schöne Erinnerungen verbinde", so Kuhl.
Der Landgasthof jedenfalls sieht in Wirklichkeit haargenau so aus, wie sie ihn gezeichnet hat. Er heißt auch so. "Ich hatte kurz überlegt, ob ich den Namen des Gasthofs oder des Tals verändern soll. Aber die Anzahl comiclesender Hippophiler, die so nah wohnen, dass sie den Ort wirklich besuchen werden, ist wohl eher zu vernachlässigen", glaubt Kuhl.
Es könnte aber doch sein, dass die Wirtsleute ein paar mehr Gäste empfangen. Denn es ist eine bodenständige Idylle, die Kuhl preist. Eine, in der man als Kind süße Ferkelchen lieben und "Wursti" nennen kann, während man sich doch abends in der Gaststube die "Wurschtsupp" schmecken lässt. Denn das Ambivalente, auch das Schwierige spart Kuhl in all der Idylle und Komik nicht aus. Schon "Manno!" hatte seinen Charme genau daraus bezogen und auch aus der Selbstironie, mit der Kuhl als autobiographische Erzählerin auf ihr jüngeres Ich blickt - in Text wie Bild. "Manno!" hatte ursprünglich ein Roman werden sollen, weiter weg von ihrem eigenen Leben. Aber die Vorskizzen in Comicform hatten ihr Testpublikum überzeugt.
Ein besonderer Reiz liegt schließlich darin, dass die Geschichten Kuhl, ihrer Schwester und den Freundinnen "in echt" passiert sind. "Das Maß an Offenheit und Wahrheitsgehalt beim Erzählen zu finden, das den Eindruck von Authentizität vermittelt, dabei aber meine persönlichen Grenzen nicht überschreitet und die der anderen dargestellten Personen auch nicht, ist ein großes Thema", so Kuhl. Man kommt nicht umhin zu glauben, die gelungene Form von "Manno!" könnte die neue Serie der Bücher "Wir Kinder von früher", die Klett Kinderbuch zur Buchmesse 2024 begonnen hat, inspiriert haben. Sie alle erzählen von früheren Kindern, für alle "von heute und früher". Jedenfalls ist Kuhls Band nun der vierte und der erste Comic. Bei Kuhl begegnen sie einer Mutter, die Kummer hat, der Kalte Krieg kommt vor und ein Tier stirbt, es ist nicht alles rosarot. In Lesungen bekommt Kuhl darauf überaus positive Reaktionen: Die Kinder gingen mit, sie seien "teilweise richtig aufgewühlt und beginnen von ihren eigenen ähnlichen Gefühlen und Erfahrungen zu erzählen. Das ist oft sehr berührend und schön." Auch die Reaktionen und Zuschriften von Erwachsenen, die oft ihre eigene Kindheit wiedererkennen, sind intensiv. "Ich bekomme viel Post von Menschen meiner Generation, die mir schreiben, dass sie vieles ganz genauso erlebt haben. Am schönsten ist es, wenn die Kinder und ihre Eltern über das gemeinsame Lesen der Geschichten ins gegenseitige Erzählen kommen."
Anke Kuhl, Pferde, Tränen, Lachanfälle, Klett Kinderbuch, 104 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.