Besprechung vom 26.09.2022
Moral hat ihren Preis
Ein Verhaltensökonom über die Kosten des Anstands
Warum ist es so schwer, ein guter Mensch zu sein, fragt der Bonner Verhaltensökonom Armin Falk in seinem neuen Buch schon auf dem Titel. Obwohl die meisten Menschen von uns durchaus anständig sein wollen, handeln wir oft eigennützig. Viele fahren kurze Strecken mit dem Auto, obgleich sie den Klimaschutz eigentlich unterstützen wollen. Wir lügen bisweilen, und die meisten Menschen zeigen in prekären Situation weniger Zivilcourage, als sie es vermutlich selbst von sich wünschen. Warum? Als Verhaltensökonom sieht Armin Falk dahinter ein ökonomisches Kalkül, ein Abwägen zwischen Kosten und Nutzen, nicht zwingend bewusst, aber doch über unsere Emotionen letztlich handlungsentscheidend: Die Kosten des Anstands bestehen oft darin, auf eigene Vorteile zu verzichten, auch wenn der Vorteil nur darin liegt, in Frieden gelassen zu werden. Wenn Altruismus kostenlos wäre, hätten wir keine Probleme mit der Moral, ist der Ökonom überzeugt. Ihn interessiert, wie die Menschen tatsächlich sind, nicht wie sie sein sollten.
Falk nähert sich seiner Ausgangsfrage mithilfe von Labor- und Feldexperimenten, die er selbst und andere Forscher in den vergangenen Jahren durchgeführt haben. Dabei hat sich so einiges angesammelt: Armin Falk gehört zu den forschungsstärksten Ökonomen in Deutschland, der für seine innovativen Experimente viele renommierte Preise gewonnen hat. Er hat einst beim Verhaltensökonomen Ernst Fehr in Zürich promoviert, leitet heute das Institut für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq) und ist Direktor des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Bonn.
Das Buch ist leicht verständlich geschrieben. In den verhaltensökonomischen Experimenten werden Menschen bestimmten Situationen ausgesetzt und die Forscher beobachten, wie sie darauf reagieren. So untersucht er etwa, ob Menschen gegen Bezahlung bereit sind, anderen Schmerzen zuzufügen. Viele Experimente zeigen uns Menschen dabei nicht gerade von der besten Seite: Viele Menschen fühlen sich durchaus gut, wenn sie sich rächen können an Leuten, von denen sie zuvor unfair behandelt wurden. Menschen lassen sich mitunter auch leicht zu fragwürdigem Verhalten verleiten. Vor allem in Gruppen sind wir anfällig für unmoralisches Verhalten, wohl auch deshalb, weil hier die Verantwortung für das eigene Verhalten oft diffus wird.
Dabei zeigen die Experimente auch, dass uns unser Image oft wichtiger ist als die Moral: "Es ist nichts falsch daran, wenn wir unseren Coffee-to-go aus dem mitgebrachten Bambusbecher schlürfen und hin und wieder mal vegetarisch essen. Aber vielleicht sollten wir uns manchmal fragen, aus welchen Motiven wir es wirklich tun. Und ob es nicht dem Image mehr dient als der Umwelt", schreibt Falk.
Gerade im Berufsleben sieht Falk oft eine Spannung zwischen Moral und Ehrgeiz. Im Ringen um Anerkennung schieben viele ihre Skrupel beiseite, anekdotische Evidenz dafür gibt es zuhauf, etwa bei Sportlern (Doping), Wissenschaftlern (gefälschte Studien), Ingenieuren (Dieselskandal) oder Journalisten (erfundene Reportagen). Falk zeigt in seinem Buch experimentell, wie stark der Wunsch ist, respektiert und anerkannt zu sein, und welche Folgen unser Geltungsbedürfnis auf unser Verhalten hat - mal zum Guten im wettbewerblichen Sinne, mal zum Schlechten.
Besonders wichtig ist ihm die Wechselwirkung: "Ob wir uns gut oder schlecht verhalten, hängt maßgeblich davon ab, wie uns andere behandeln." Dieser Reziprozität widmet er ein ganzes Kapitel: Das Prinzip "Wie Du mir, so ich Dir" sei tief im Menschen verankert. Im Berufsleben gehe es nicht nur um Geld, sondern auch um Respekt und Anerkennung. "Was sich jetzt vielleicht wie Kirchentagslyrik anhört, lässt sich empirisch belegen", schreibt Falk und nimmt so manche Kritik vorweg, indem er auf experimentelle Studien hinweist.
Das Buch gibt einen sehr guten Einblick, was Verhaltensökonomen heute erforschen und vor allem auch, wie sie es erforschen, mit welchen Methoden: Laborexperimenten, Feldbeobachtungen und teils sogar der Magnetresonanztomographie, um mit dem Hirnscanner nachzusehen, welche Gehirnregionen bei bestimmten ökonomischen Fragen aktiviert werden. Bisweilen sind die Ergebnisse der Laborexperimente allerdings auch wenig überraschend. Etwa Experimente, die zeigen, dass uns Neid unmoralischer macht. Oder dass Kinder ihren Eltern relativ ähnlich sind hinsichtlich sozialem Verhalten und Einstellung zum Risiko. Gegen den Vorwurf, viele Ergebnisse könne man auch mit dem gesunden Menschenverstand erahnen, wehrt sich Falk allerdings - und wohl auch zu Recht: Tatsächlich ist es im Nachhinein meist sehr viel einfacher, Ergebnisse zu erklären als sie schon vorher richtig zu prognostizieren.
Falks These, dass auch der Markt die Moral erodieren lasse, ist unter Ökonomen umstritten. Schon als er sie vor neun Jahren erstmals veröffentlichte, gab es Widerspruch von Fachkollegen. Aber sein Hinweis darauf, dass unmoralische Handlungen oft die Folge einer "Diffusion von Verantwortung" seien, hat durchaus Gewicht. Die Moral kommt oft auch dann unter die Räder, wenn sich keiner so richtig verantwortlich fühlt, schreibt Falk zu Recht: "Weil es immer noch einen anderen geben könnte, der die Dinge regelt." Am Ende, im letzten Kapitel, wird das Buch eine Art verhaltensökonomischer Ratgeber mit anschaulichen Tipps zum Weltverbessern. TILLMANN NEUSCHELER
Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein, Siedler, München 2022, 334 Seiten
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