Chemnitz, im Februar 2018: Für das Interview mit Christian Bürger (S. 127) suche ich im Sächsischen Hof einen Raum. Ich frage die Hotelbesitzerin, Frau Karin Haase, und erläutere kurz das Buchprojekt. Ja , sagt sie, hinten könnten wir sitzen. Da seien war für eine private Feier am Abend die Tische schon eingedeckt. Aber: Für den Genscher tue ich alles. Wissen Sie , und Tränen schießen ihr in die Augen, wir sind DDR -Geschädigte.
Nie wieder bei den Recherchen zu diesem Buch begegne ich dem, was Genscher als Mensch für die Menschen getan hat (Zitat von Rita Süssmuth ab S. 198) so direkt wie jetzt. Und einmal mehr stellt sich mir die Frage: Wer ist der Mensch Genscher? Wer ist der Mann, der 1972 alles tut und bereit ist, sein Leben für die gefangenen Israelis im Olympischen Dorf in München einzusetzen, weil ich wusste, was ich zu tun hatte ? Der wirklich Verantwortung übernimmt und deswegen jahrzehntelang hochrangiges Ziel von Terroristen ist? Und sich atemlos, ja fast manisch und trotz lebensbedrohender Krankheit für Versöhnung, Annäherung der Menschen in Europa und federführend für die Wiedervereinigung einsetzt?
Wer ist der Mensch Genscher, der Persönlich-Privates wenn überhaupt sorgfältig medial inszeniert, dabei immer den Mythos des jovialen Staatsmannes im Blick hat und über den doch alles schon geschrieben scheint?
Dafür befrage ich mündlich oder schriftlich zwischen Oktober 2017 und Juli 2018 Barbara Genscher, Freunde und Freundinnen,
Weggefährten, Kolleginnen und Kollegen aus Russland, den USA, Dänemark, Polen, England und Deutschland und höre zu. Meine Fragen mit der Bitte um Antwort in persönlichen Worten sind zum Beispiel: Wann trafen Sie Hans-Dietrich Genscher zum ersten Mal? Was war der Anlass, wie war Ihr Eindruck und wie erlebten Sie ihn?