Besprechung vom 03.09.2024
Statt ideologischer Kämpfe
Daniel Etter wägt Alternativen zur industriellen Landwirtschaft ab
Auf die Behauptung, das globale Ernährungssystem befinde sich in einer Krise oder sei gar völlig zerrüttet, stößt man immer öfter: Hunger, Unter- und Fehlernährung seien verbreitet, es herrsche eine fatale Abhängigkeit von Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln, industrielle Landwirtschaft sei eine der Hauptursachen für den Verlust biologischer Vielfalt und der Gesundheit von Böden, und nicht zu vergessen seien zudem die vielen ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse samt zunehmender Abhängigkeit von Großkonzernen. Darüber hinaus sei die industrielle Landwirtschaft eine bedeutende Quelle von klimawirksamen Emissionen und vermindere die Aufnahmefähigkeit von Böden für Kohlenstoff.
Es herrscht Konsens, dass etwas getan werden muss, um diesen Problemen zu begegnen. Industrielle Landwirtschaft setzt auf die sogenannte nachhaltige Intensivierung, eine Produktionssteigerung, ohne die Degradierung natürlicher Ressourcen und Lebensräume weiter zu verstärken, aber dabei nicht auf den Einsatz von Biotechnologie und Pflanzenschutz- und Düngemitteln zu verzichten. Verschiedene alternative Formen der Landwirtschaft versprechen diese Probleme schonender für die Natur anzugehen, insbesondere der Biolandbau, die Agrarökologie und die regenerative Landwirtschaft. Einzig der Biolandbau arbeitet gemäß gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen, für die Agrarökologie und die regenerative Landwirtschaft existieren hingegen eine Vielzahl von Herangehensweisen, die in Kombination mit dem Biolandbau oder konventioneller Landwirtschaft betrieben werden.
In seinem Buch berichtet der Fotograf Daniel Etter, Besitzer eines Hofs in Nordspanien, von seinen Besuchen bei Landwirten, die Formen der regenerativen Landwirtschaft betreiben und die ihm als Vorbilder für seine Versuche auf dem eigenen Hof dienen. Etter schildert etwa einen Besuch in Südspanien, um dort etwas über Anbau bei permanentem Wassermangel und die Auswirkungen intensiver Landwirtschaft mit Bewässerung und intensivem Düngemitteleinsatz auf das fragile Ökosystem einer Salzwasserlagune zu lernen.
Der Autor verschweigt nicht die Konflikte, mit denen die von ihm besuchten Landwirte umgehen müssen. Manche müssen mit der Flinte und Elektrozäunen Wildschweine töten oder von ihrem Hof fernhalten - biologische Kontrolle wirkt in diesem Fall nicht, da der Wolf, der einzige Räuber, der Wildschweine erlegen kann, in der südspanischen Region ausgerottet ist.
Gegen die Jagd zu sein ist ein Luxus, den sich manche Landwirte, auch wenn sie biologisch wirtschaften, nicht leisten können. Am Beispiel eines konventionell wirtschaftenden Hofs in Niedersachsen zeigt Etter, wie schwierig der vollständige Verzicht auf Glyphosat sein kann, wenn gleichzeitig schonende Bodenbearbeitung ohne Pflug praktiziert wird. Er setzt sich auch ausführlich und kritisch mit dem sogenannten "holistic grazing" auseinander. Dabei geht es darum, Vieh so zu bewegen, dass sich das Gras möglichst gut erholen kann. Dafür bleiben Tiere kürzer und in kompakter Formation auf den Weideflächen. "Holistic grazing" schürt vor allem die Hoffnung, große Mengen Kohlenstoff in Böden binden zu können. Doch Daniel Etters Darstellung zeigt, dass Weidemanagement möglicherweise einen nur in sehr langen Zeiträumen spürbaren Effekt auf die Kohlenstoffbilanz des Bodens hat.
Bis vor wenigen Jahren waren Lösungsvorschläge für die Herausforderungen einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion noch deutlich ideologisch polarisiert. Auf der einen Seite standen reduktionistische, von Biotechnologie geprägte Lösungen, denen auf der anderen Seite natürliche Kreisläufe betonende Vorgehensweisen gegenüberstanden. Etters Buch zeigt, dass diese Polarisierung an Bedeutung verliert - Gründe dafür dürften vor allem die immer deutlich spürbarere Klimakrise und die während der Covid-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine sich zeigende Verwundbarkeit des globalen Ernährungssystems sein.
Etter setzt stark auf regenerative Praktiken, ist aber kein kritikloser Fürsprecher singulärer Lösungen. Er spricht sich dafür aus, konventionelle Landwirtschaft nachhaltiger und Biolandbau offener für technologische Neuerungen zu machen - auch wenn dies für den Biolandbau das Verwerfen bisher grundlegender Prinzipien, etwa beim Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln oder Züchtungstechniken, bedeuten würde.
Eine nüchterne Betrachtung zeigt, dass ein Biolandbau allein in seiner jetzigen Form die Ernährungssicherheit nicht gewährleisten könnte und selbst die Ausweitung der ökologisch kultivierten Fläche auf ein Viertel oder ein Drittel der gesamten in Deutschland landwirtschaftlich genutzten Fläche den deutschen Selbstversorgungsanteil der Nahrungsmittelproduktion spürbar verringern würde. Das Buch macht Hoffnung, dass für alle Formen der Landwirtschaft praktikable Wege erkundet werden, die sowohl die Versorgung wie auch die natürlichen Lebensgrundlagen sichern. THOMAS WEBER
Daniel Etter: "Feldversuch". Mein Hof und die Suche nach der Zukunft der Landwirtschaft.
Penguin Random House Verlagsgruppe, München 2024.
256 S., Abb., geb.
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