Ein bisschen Gras, ein genialer Coup und das Wunder von Bayern - Jakob Heins absurd komischer Roman über eins der größten deutschen Geheimnisse: Wie nur brachten die Ostler einst den Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß dazu, mit einem Milliardenkredit ihr bankrottes Land zu retten? Eine herrlich abgedrehte Geschichte mit einem der entspanntesten Helden der Literatur.
Nicht im Traum wäre sein Chef darauf gekommen, dass ausgerechnet Grischa, dieser schüchterne Assistent der Plankommission, zu Subversion neigt und einen - zugegeben - ziemlich genialen Plan ausheckt, wie ihr maroder Laden an eine neue, überraschend gut sprudelnde Finanzquelle gelangt. Wobei 'Laden' in diesem Fall für ein ganzes Land steht.
Vielleicht lag es daran, dass Grischa einen etwas eigenwilligen Filmgeschmack hat, in dem sich amerikanische Drogenmafia-Thriller mit sozialistischen Heldenepen kreuzen?
Jedenfalls: Grischas Chef kommt aus dem Staunen nicht raus, und mit ihm staunen alle möglichen greisen Minister im Zentralkomitee. Am meisten staunt allerdings kurz darauf der Polizeichef von Westberlin, als sich am Grenzübergang Invalidenstraße tumultartige Szenen abspielen, und zwar auf der falschen (!) Seite. Hunderte junge Leute wollen nach drüben, in den Osten, als wäre Magie im Spiel. Als die Regierung in Bonn Wind davon bekommt, wird die Lage brenzlig.
Doch da macht der Osten dem Westen ein Angebot, das er nicht ablehnen kann!
Besprechung vom 20.02.2025
Was heißt hier Medizinalhanf?
Devisenbeschaffungsbedarfsplanerfüllung mittels Marihuana: Jakob Heins neuer Roman ist ein gewitztes Gleichnis auf die ehemaligen innerdeutschen Verhältnisse
Es muss gleich der "Weltfrieden" sein, den die notorische weiße Taube, nun allerdings mit einem hübsch gefiederten Blatt der Cannabispflanze statt des Ölzweigs im Schnabel, auf dem Schutzumschlag ansteuert. "Ein bisschen Frieden" hätte nicht gereicht. Mit einem Liedchen dieses Titels gewann die deutsche Schlagersängerin Nicole nämlich just im Jahr, in dem Jakob Heins extravagante Geschichte spielt, den Eurovision Song Contest. Das kommt im Buch zwar nicht vor, wird dem Autor aber bekannt gewesen sein. Dieses nie genau genannte Jahr, in dem der Roman "Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste" spielt, lässt sich daran identifizieren, dass die "BRD-Fußballmannschaft im Sommer im WM-Finale gespielt hatte", und "am nächsten Tag jeder deprimiert und mit schwerem Kopf herumgelaufen" war. Auch in der DDR hatte sich offenbar niemand für den Erzrivalen Italien gefreut. Sieben Jahre später sollte dann die Mauer fallen.
Grischa Tannberg, als Sohn strikt linientreuer Eltern in Gera geboren, fängt in ebenjenem Jahr 1982 als "Jungaktivist" in der Staatlichen Planungskommission in Berlin, genannt PlaKo, an. An der Tür seines künftigen Zimmers hängt ein Wimpel mit der afghanischen Flagge, den sein Vorgesetzter bei einem Freundschaftstreffen mit dem Bruderland bekommen hat. Es gibt in Kabul sogar eine Botschaft, allerdings nichts zu tun für die PlaKo: "Wortwörtlich nichts. Die Afghanen haben nichts. Man könnte es so zusammenfassen: Die wollen alles und haben nichts. Die hätten von uns gern Bücher und Maschinen und Fahrzeuge und Konsumgüter und Dünger und alles, was wir sonst noch produzieren. Aber sie haben: nichts." Was ihm Ralf Burg - "Afghanistan-Leitung Gen. R. Burg" - deshalb zuerst vermittelt, ist, "Arten des kunstvollen Wartens" zu kultivieren.
Grischas wahre Leidenschaft gehört den (in der DDR natürlich nicht offiziell gezeigten) Gangsterfilmen des dekadenten Westens. Und er sieht das mit dem "nichts" entschieden anders. In seinem juvenilen Betätigungsdrang kommt ihm eine, nun ja: durchaus ein bisschen subversive Idee, genannt "Afghanistan-Plan". Der beruht auf den "Wachstumsreserven" der Landwirtschaft Afghanistans. Während sein Vorgesetzter zunächst vom "Anbau illegaler Rauschdrogen" spricht, sieht der neue Mitarbeiter das, sagen wir, sehr positiv. "Hier ist mein Vorschlag: Wir könnten doch mit der Demokratischen Republik Afghanistan Handel treiben, wenn wir ihnen ihr landwirtschaftliches Produkt Medizinalhanf abkaufen. Das würde die Zusammenarbeit zwischen den Brudervölkern stärken und uns einen neuen Absatzmarkt erschließen." Wobei von vornherein klar ist, dass der "Medizinalhanf" nicht die Deutsche Demokratische Republik verseuchen darf, sondern der Jugend der kapitalistisch dekadenten Bundesrepublik Deutschland zugutekommen soll. Was wiederum der DDR die dringend begehrten Valuta, Devisen, sprich: Westgeld, heißt D-Mark, verschaffte.
Grischa Tannbergs Plan nimmt Gestalt an, nachdem er diverse bürokratische (doch, Bürokratie gab es auch in der DDR) Hürden genommen hat. Zu welchen Ereignissen es dabei im Einzelnen kommt, sei hier nicht verraten. Es würde Jakob Heins verrückten, lustigen, boshaften und ach so wirklichkeitsnahen Roman spoilern, was zu schade wäre für seine Leser. Hier nur so viel: Es wird eine Art Taskforce gegründet, bestehend aus Grischa und seinem Chef Burg, der Biologin Cornelia Frühling (die über den damals aktuellen Wissensstand in Sachen Cannabis bestens informiert ist) und Frau Oberleutnant Siebert (als staatstragende Gouvernante). Unter anderem kommt es zu einem gemeinsamen Trip nach Afghanistan mit einschlägigen Erfahrungen, die Genosse Burg so zusammenfasst: "Es ist das Gefühl einer großen Verbindung mit der Jugend der Welt im Geiste des Sozialismus." Man darf Heins Ironie wahrlich nicht unterschätzen.
So gaga die ganze Chose mit dem eigens gegründeten "Deutsch-Afghanischen Freundschaftsladen" im Grenzgebiet ist, stellt Jakob Hein sie doch auf real existierende gesetzliche Füße, was zumal den Westen in schwerste Bedrängnis bringt. Da die Bundesrepublik die deutsche Teilung nicht anerkannte (weshalb es auch bloß eine Ständige Vertretung in Ostberlin gab), konnte das schwunghafte innerdeutsche Dealen gegen Quittungen auf dem (neutralen) Territorium einer GÜSt - will heißen Grenzübergangsstelle für Westberliner und DDR-Bürger - nicht gut als illegaler Drogenhandel justiziabel sein.
Wobei die Geschäfte zunehmend prächtig florieren, sodass es zu tumultuarischen Situationen am Übergang kommt. Es entsteht Handlungsdruck in Bonn, und der führt zu einer innerdeutschen Verhandlungsrunde. Einen Höhepunkt bildet das Szenario, in dem sich hochrangige Vertreter beider Seiten auf einem Gutshof in Bayern treffen, um die Medizinalhanf-Materie zu behandeln, als sie aus dem Ruder zu laufen droht.
Hein arbeitet dabei gnadenlos mit Klarnamen des jeweiligen Spitzenpersonals. Für den Westen treten an Waldemar Schreckenberger (weiland Chef des Bundeskanzleramts), Friedrich Zimmermann (Innenminister). Rainer Barzel (Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen) und Otto Graf Lambsdorff (Wirtschaftsminister). Der Osten wird vertreten von Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit) und Horst Sölle (Minister für Außenhandel). Diese Begegnung ließe sich, filmisch gedacht, gewissermaßen auf der Ebene Grischas, als Showdown bezeichnen. Die gegnerischen Parteien gehen, jede aus ihrer eigenen Perspektive, "all in" (wie das grade neudeutsch heißt) oder glauben das wenigstens. Was ein schmackhafter Wildgulasch damit zu tun hat, kann man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Jakob Hein, geboren 1971 in Leipzig und in Berlin lebend, ist praktizierender Psychiater und Schriftsteller in Personalunion. Schon in früheren Büchern hat er sich auf komische bis satirische Weise mit den Auswirkungen des deutschen Ost-West-Verhältnisses beschäftigt, etwa in dem Schelmenstück "Kaltes Wasser" von 2016. Auf ernstere Art näherte er sich dem Nahen Osten in "Die Orient-Mission des Leutnant Stern" von 2018, die auf einem historischen Geschehen beruht. Jetzt hat er sich einen großartigen Jux gemacht, nicht ohne ernsthaften Hintergrund. Er spiegelt Bundesrepublik und DDR ineinander, gleichsam auf Augenhöhe, unter den komplizierten Vorzeichen dessen, was seinerzeit als Entspannungspolitik eingeläutet worden war. Dass er dabei seine Protagonisten nicht feinst als Charaktere ziselieren kann und wohl auch nicht will, ist nur konsequent. Es geht eher in Richtung Holzschnitt, was aber zur Polit- und Gesellschaftssatire wie zur bissfreudigen Farce von Graden gut passt.
Ohne derartig zu überdrehen, hätte Jakob Hein - und das ist kein Paradoxon - der Wirklichkeit der beiden deutschen Staaten, schon fast unter dem Vorschein der Friedlichen Revolution, nicht so nah kommen können. Apropos: Der Afghanistan-Plan bleibt am Ende nicht ohne Folgen für Grischa und Dr. Frühling. Beiden schenkt er, ganz unerwartet, mehr Wunscherfüllung als nur ein bisschen Frieden. ROSE-MARIA GROPP
Jakob Hein: "Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste". Roman.
Verlag Galiani, Berlin 2025. 243 S., geb.
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