Else ist eine Frau, die wir von all ihren Seiten kennenlernen dürfen: als sudetendeutsches vertriebenes Kind, bei ihrem sozialen Aufstieg, der angeblich nur ihrem Ehemann Willy zu verdanken ist, und bei ihrer emotionalen Emanzipationsreise, als sie entscheidet heimlich einen Taxischein zu machen. Sie fährt uns stolz, fein und modern durch die Frankfurter Nächte der Sechziger- bis Achtzigerjahre und parkt uns in einer berührenden Szenerie an der Côte d'Azur, wo sie mit ihrer Enkelin auf eine letzte große Reise geht.
"Frauen wie Else motivieren nicht nur, sie treten uns regelrecht in den Hintern. Aufstehen und das Glück anpacken!" Kerstin Weng, Vogue
Inklusive QR-Codes mit multimedialen Inhalten und zeitgeschichtlichen Hintergrundinfos
Besprechung vom 26.05.2025
"Stell dir vor, du verliebst dich in mich"
FRANKFURT Jasna Fritzi Bauer und Katharina Zorn lesen im Schauspiel aus ihrem Debütroman
Keine Vorstellung, keine Einführung, keine Begrüßung: Die Lichter werden gelöscht, eine Videosequenz in Schwarz-Weiß wird abgespielt. Man sieht Nahaufnahmen von Schienen, vom Bahnsteig, eine Frau. Dann ertönt eine Stimme: "Stell dir vor, wir sitzen in einem Zug, und wir begegnen uns zum ersten Mal. Stell dir vor, du verliebst dich in mich, in einen Menschen, den du zuvor noch nie gesehen hast." Die Videosequenz erlischt, zwei Frauen betreten die Bühne.
Die Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer und die Künstlerin Katharina Zorn haben im Mai dieses Jahres gemeinsam den Roman "Else" veröffentlicht. Darin geht es um die titelgebende Figur Else, die sich in den Sechzigerjahren aus den Fängen des bürgerlichen Daseins befreit und Hessens erste weibliche Taxifahrerin wird. Am Schauspiel Frankfurt geben Fritzi Bauer und Zorn aus diesem Buch eine szenische Lesung zum Besten. Allerdings sitzt neben der im weißen Hemd und blauen Pullunder gekleideten Fritzi Bauer nicht Katharina Zorn, sondern die Schauspielerin Maéva Marie Mathilde Roth. Während Bauer vor allem die Erzählerstimme übernimmt, springt Letztere bei Dialogen ein.
In den gelesenen Passagen geht es um Else, die mit ihrem Mann Willi und ihren Töchtern Susanne und Antje zusammenlebt. Kopfschüttelnd nimmt sie zur Kenntnis, dass ihr Mann bei einem Hefeweizen-Wetttrinken ein Tennismatch mit seinem Chef Ackermann gewonnen hat. Immer wieder schimmert patriarchaler Muff durch, der nicht so historisch ist, wie es das Setting des Romans vermuten lässt. Zum Beispiel, als Else ihrem Mann die Krawatte mit der Begründung rauslegt, ein gut gelaunter Willi sei besser als ein schlecht gelaunter. Oder als die nach Geschlecht festgelegte Sitzverteilung der Zuschauer auf dem Tennismatch beschrieben wird.
Else fühlt sich in diesen gesellschaftlichen Zuständen kleingehalten. Schließlich verlässt sie das Tennismatch vor Willi. Um drei Uhr nachts taumelt er betrunken mit fremden Lippenstift auf dem Hemd in die gemeinsame Wohnung, es kommt zum Streit, er schlägt Else ins Gesicht. Das ist eine Zäsur im Leben von Else. Am nächsten Tag beschließt sie, einen Taxischein zu machen. "Frauen können keine Autos fahren", erklingt es ihr noch seitens der Taxizentrale aus dem Telefon. In den folgenden Passagen dreht sich die Erzählung zunehmend um das Verhältnis von Else zu ihren Töchtern. "Die Mutter weint, die Tochter sieht", der weibliche Schmerz als Erbe.
Roth und Bauer lesen den Text gefühlvoll vor einer gelb bestrahlten Leinwand mit kleinen Lichtpunkten vor. Immer wieder wird die Veranstaltung durch kurze Videoeinblendungen sequenziert. Meist handelt es sich hierbei um Detailaufnahmen bestimmter Settings in Schwarz-Weiß. Mit diesen Stimmungsbildern soll der Zuschauer auch visuell mit in die Vergangenheit genommen werden. Allerdings doppeln sich gelegentlich Wort und Bild: Wird im Buch Tennis gespielt, geschieht das auch im Video. Spielt das Buch am Bahnhof, werden Bilder eines Bahnhofs gezeigt. Videosequenzen lassen sich auch im Roman per QR-Code abrufen. Gelegentlich hat man das Gefühl, die Autorinnen trauen ihren Worten nicht zu, diese Stimmung aus eigener Kraft zu erzeugen. Im Theatersaal sorgen diese Bilder dennoch für erfrischende Abwechslung bei den sonst recht langen Lesungspassagen.
Am Ende kommt Katharina Zorn doch noch auf die Bühne. Sie führt mit Jasna Fritzi Bauer ein geskriptetes Entweder-oder-Interview. Schließlich endet die Veranstaltung, wie sie begonnen hat: kein Gespräch, kein Abschied. Die Lesung spricht für sich. JOSHUA SCHÖSSLER
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