Besprechung vom 28.02.2025
Von Windmühlen, Mücken, Matrosen und Nachtigallen
Er gehörte zu Paris genauso wie zum Hof in Versailles: Johannes Menke widmet sich dem französischen Barockkomponisten François Couperin
Johannes Menke hat sich einen "bekannten Unbekannten" vorgenommen, den französischen Barockkomponisten François Couperin (1668 bis 1733). Mit ihm nimmt die Reihe "Große Komponisten und ihre Zeit" auch einen phantasiereichen Organisten und Cembalisten auf, der zur Stadt Paris ebenso gehörte wie zur höfischen Welt Ludwigs XIV. Neben ausdrucksvoller, vor allem geistlicher Vokalmusik schuf er die berühmten "Pièces de Clavecin" (Cembalostücke), aus denen auch heutige Starpianisten Einzelstücke auf ihre Programme setzen.
Im katholischen Frankreich wurden Abendgottesdienste der Karwoche in der Tradition der "Leçons de Ténèbres", auch Tenebrae, musikalisch ausgestaltet. Erhellt nur von den Kerzen eines fünfzehnarmigen Leuchters, begann die erste Leçon am Abend vor Gründonnerstag im ansonsten dunklen sakralen Raum - die Zahl der Kerzen steht für die elf Jünger (ohne Judas), drei Jüngerinnen und Christus. In die Leçons sind kleine Pausen einkomponiert, in denen jeweils eine Kerze gelöscht wurde, sodass am Schluss nur noch die Kerze Jesu in der Dunkelheit leuchtete.
Der lateinische Text war den Gottesdienstbesuchern geläufig, er zitiert aus den alttestamentlichen Klageliedern des Jeremia: "Incipit Lamentatio Jeremiae Prophetae. Aleph. Quomodo sedet sola civitas plena populo." - "Es beginnt das Klagelied des Propheten Jeremia. Aleph. Wie liegt die Stadt so verlassen, die voll Volk war." Aleph bezeichnet den ersten Buchstaben im hebräischen Alphabet und wird traditionell mitkomponiert; die gesanglichen Verzierungen um den Buchstaben erinnerten "an die ornamentalen Initialen einer Handschrift", so Menke. Am Ende einer jeden Leçon, die zwölf bis fünfzehn Minuten dauert, erklingt die Aufforderung des Propheten: "Jerusalem, Jerusalem, convertere ad Dominum, Deum tuum." - "Jerusalem, Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott!"
Couperin besetzt die Leçons, von denen nur drei überliefert sind, mit einer oder zwei Gesangstimmen, Generalbass und der zugehörigen Viola da Gamba. Der Gesangspart ist stilistisch anspruchsvoll; er fordert Verzierungen, die im Originaldruck durch kleine Zusatznoten, Verbindungslinien zwischen oder Kreuze über den Noten gekennzeichnet sind. Vor allem aber, und hierfür sind die Verzierungen ein Mittel, wird von der Sängerin ausdrucksvoller Gesang verlangt, um die vertonten Jeremias-Texte zum Leben zu erwecken. Für den beklagenswerten Zustand Jerusalems ("Recordata est Jerusalem dierum afflictionis suae") hat Couperin in der zweiten Leçon eine Weise in h-Moll von bohrender Expressivität komponiert, eine Passacaille im Drei-Halbe-Takt, mit dem Zusatz "Tendrement", der chromatisch absteigende Bass steht für die Trauer um das, was man liebt.
Menke nennt als Interpretin die Opernsängerin Catherine-Nicole Lemaure, die im Kloster Longchamp die "Leçons de Ténèbres" gesungen habe; sie sei 1727 dort Nonne geworden. Was nach einem abrupt und endgültig veränderten Lebenswandel klingt, kann so kaum gewesen sein, denn in späteren Jahren wurde sie immer wieder bei Opernaufführungen in Paris gefeiert.
Couperin war 38 Jahre lang Organist an der Pariser Kirche St. Gervais und diente jeweils in den Monaten Januar bis März an den Orgeln der Chapelle Royale am Versailler Hof. Dennoch ist nur ein kleiner Band mit Orgelmusik überliefert ("Pièces d'orgue", 1690). Sein eigentliches Element ist das Cembalo, das zweimanualige Clavecin, dessen Saiten mit Kielen angerissen beziehungsweise gezupft werden. Herzstück seines OEuvres ist neben den "Pièces de Clavecin" die Abhandlung "L'art de toucher le clavecin" ("Die Kunst, das Cembalo zu spielen", 1716), die auch in deutschsprachigen Ländern rezipiert wurde.
Mit den 220 auf vier Bücher verteilten "Pièces de Clavecin" ist Menke spürbar vertraut. Er beschreibt sie anschaulich als Charakterstücke, die zwar deutlich von zeitgenössischen Tänzen - Allemande, Sarabande, Gigue - herkommen, doch vielfach Porträts bestimmter historischer Personen, mythologischer Figuren, Charaktere oder Naturstimmen sind. Couperin schrieb dazu im Vorwort: "Ich habe beim Komponieren dieser Stücke immer einen Gegenstand (objet) vor Augen gehabt . . . die Titel spiegeln die Vorstellungen (idées) wider, die ich gehabt habe." Porträtiert werden etwa Cembalo-Schülerinnen, Windmühlen, Mücken, Matrosen, eine verliebte Nachtigall, eine Seherin; dem Stück "La Visionnaire" attestiert Menke eine "spätromantisch" anmutende Harmonik.
Im Kammermusikformat der Triosonate komponiert Couperin zwei Apotheosen mit musiktheatralischem Programm: Arcangelo Corelli und Jean-Baptiste Lully werden im Parnass aufgenommen und musizieren friedlich miteinander; in dieser "Vereinigung des französischen und des italienischen Geschmacks" stellte sich Couperin, nicht ohne ein Quäntchen Eigenliebe, die "perfection de la Musique" vor.
Etwas zu viele Flüchtigkeitsfehler, auch im Französischen, trüben das Leseerlebnis ein; gewünscht hätte man sich ein Glossar mit den wichtigsten Fachbegriffen. Willkommen ist der zweisprachige Abdruck der Vorworte von Couperin zu seinen musikalischen und theoretischen Werken. ANJA-ROSA THÖMING
Johannes Menke: "François Couperin und seine Zeit".
Laaber-Verlag, Lilienthal 2024. 402 S., Abb., geb.
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