Ein einmaliger Einblick in Thomas Manns erste Deutschlandreise nach der Auswanderung ins Exil
1929 erhält er den Literaturnobelpreis, 1933 wird er als einer der lautesten Gegner des Nationalsozialismus ins Exil getrieben. Thomas Manns Beziehung zu Deutschland bleibt fortan kompliziert. 1938 emigriert er in die USA, erst 1949 setzt er wieder seinen Fuß auf deutschen Boden: auf Einladung zum Goethe-Jahr in Ost- und Westdeutschland. Seine Deutschlandreise ist das erste international beachtete kulturelle Großereignis nach dem Fall des Nationalsozialismus. Lange hat Thomas Mann gezögert, ob er überhaupt kommen soll. Er reist mit seiner Frau Katia von Frankfurt am Main über Nürnberg und München nach Weimar, hält Reden in beiden Teilen Deutschlands, was seinem Deutschlandbesuch auch politisch höchste Brisanz verleiht. Er wird bejubelt und zugleich kritisiert.
Basierend auf Thomas Manns Tagebüchern, Briefen, Reiseberichten und den Erinnerungen seines Schweizer Fahrers, erzählt diese Graphic Novel von Manns zehntägiger Rückkehr, einem politisch extrem aufgeladenen Kapitel im Leben Thomas Manns und seiner Familie. Zudem beleuchtet die Graphic Novel auch Schlüsselmomente im Leben des Schriftstellers, blickt in Flashbacks immer wieder auf historisch wichtige Phasen zurück und gibt einen facettenreichen Einblick in die Gedankenwelt Thomas Manns.
Ein tiefer Einblick in das Leben des Nobelpreisträgers und ein wichtiger Beitrag zu seinem 150. Geburtstag!
Besprechung vom 01.03.2025
Die reisende Künstlerin
FRANKFURT Unterwegs mit einem Postkarten-Club und Thomas Mann: Die Illustratorin Magdalena Adomeit arbeitet in ganz Europa. Jetzt hat sie dem Besuch des Goethepreisträgers 1949 eine Graphic Novel gewidmet.
Von Eva-Maria Magel
Wenn Magdalena Adomeit den Ort wechselt, hat sie Rucksack, Laptop, ihren Hund, Stifte, Farben und Skizzenblock dabei. Als Thomas Mann am 24. Juli 1949 am Frankfurter Hauptbahnhof ankommt, türmt sich ein Riesenberg von Koffern auf dem Gepäckwagen. Adomeit hat ein bisschen lachen müssen, als sie hörte, um was es bei der Graphic Novel "Thomas Mann. 1949" geht, die nun erschienen ist: um eine Reise. Besser hätte es nicht passen können für eine passionierte Reisende, die zugleich Illustratorin ist - oder umgekehrt. Das Reisen und die Lust am Erzählen verbindet die heute 30 Jahre alte Adomeit mit Mann. Wobei Adomeit dafür Stifte und Grafikprogramme benutzt.
Nicht nur die Menge des Gepäcks aber unterscheidet die beiden. Seit sie mit ihrem Studium an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg ihren Abschluss gemacht hat, ist Adomeit eine Reisende. Nicht aus Zwang, sondern aus Lust. Eine eigene Wohnung hat sie nicht. "Ich kann meinen Job mitnehmen, das ist ein großer Vorteil. Und man kann sich beruflich weiterentwickeln, während man reist", sagt sie. Auf Reisen hat es sie überrascht, "wie nützlich Illustration ist. Diese Vielfalt hatte ich zuvor nicht gesehen." Plakate für ein Landwirtschaftskollektiv, Logos, Illustrationen für Events hat sie im "Work and Travel" erstellt. "Es ist als reisende Künstlerin schön zu sehen, wie viel Anwendung und Anerkennung das findet." Ihre ersten Schritte in der Buchillustration sind aufgefallen, so kam der Knesebeck Verlag auf sie zu, ein Glücksfall: "Graphic Novel ist etwas ganz anderes als einzelne Bilder oder eine Buchillustration. Ich habe länger schon gehofft, meinen Weg in das Genre zu finden." Das historische Thema bedinge die Gestaltung, sie hat viele Referenzbilder gesucht, damit Personen und Räume originalgetreu aussehen, mit den Autoren Julian Voloj und Friedhelm Marx hat sie über Details diskutiert. "Man will frei sein, aber es muss auch korrekt sein", beschreibt Adomeit den Balanceakt.
Eine Graphic Novel über die Europareise Manns, der am 25. Juli 1949 in der Frankfurter Paulskirche den Goethepreis erhielt und nur eine Woche später in Weimar den frisch erdachten Goethe-Nationalpreis der DDR bekam, passt in das Untergenre der historischen Graphic Novels, die laut Adomeit in Deutschland noch nicht so angekommen seien wie in anderen Ländern. Das Genre bringe Leute dazu, sich mit einem Thema zu beschäftigen, über das sie sonst eher nichts lesen würden, sagt sie.
Die "Ansprache im Goethejahr 1949", die Mann in beiden Goethe-Städten hielt, wurde gespalten aufgenommen. Wo die Linien verlaufen, macht Adomeit in ihren Bildern sichtbar. "Im Fluge ziehen die Erlebnisse dieser anderthalb Jahrzehnte, in denen ich sechzig und siebzig wurde, mir durch die Seele", sagt Mann. Und so sind Rückblicke in die Zeit des Nationalsozialismus und des Exils in dunkleren Farben zwischen die helleren und farbigeren Bilder von Manns Reise durch das kriegszerstörte Deutschland aufgenommen.
Die Gegenwart von 1949 allerdings trägt genug Düsternis in sich: Der Ungeist der Nazis steckt tief in den Köpfen, "Deutschlandhasser" und "Dollar-Hamster" steht über Mann in den Sprechblasen. Die Bilder, die Adomeit gefunden hat, sprechen Bände. Mann hatte im Jahr seiner Europareise den Wohnsitz Vereinigte Staaten schon fast satt, das Umherreisen erst recht. Er war, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, ein erschöpfter, gesundheitlich angegriffener alter Herr, als er über Stockholm nach Frankfurt, Weimar und München reiste.
Adomeit hingegen hat vom zwanglosen Umherziehen in ganz Europa, vielsprachig auch in ihrer Arbeit, noch nicht genug: "Wenn man einmal reingefunden hat, ist das ein System, das ein Selbstläufer ist, vor allem wenn man immer wieder in die selben Länder reist. Dann findet man ein temporäres Zuhause. Manchmal denke ich auch, ich möchte irgendwo hingehören, aber im Moment ist das ein guter Tausch."
Das Prinzip "Work and Travel" sei eine wunderbare Art zu reisen, weil es ihr zuallererst ermögliche, an andere Orte zu kommen. Mittlerweile habe sie aber so viel zu tun, dass sie dem "Work" am Reiseort selbst nicht viel Zeit widmen könne. Ideal war da ein Housesitting, das sie nach Norwegen brachte. Zwischen Hühnerfüttern und Bootswartung war genug Zeit für die eigene Arbeit. So ist der Großteil von "Thomas Mann. 1949" "zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen" entstanden. "Das Reisen nimmt aber auch viel Zeit in Anspruch, weil man den Alltag immer neu austariert." Weil sie "den Schwung in meiner illustratorischen Karriere nicht verpassen" will, bleibt sie im Frühjahr erstmals wieder länger in ihrer Geburtsstadt Marburg.
Ihr Club kann also auf Karten aus Hessen warten: Seit fast zwei Jahren schreibt sie an einen kleinen Kreis digitaler und analoger Abonnenten, den "Postcard Club", jeden Monat eine selbst gezeichnete Postkarte. Grüße aus aller Welt mit kleinen Begebenheiten und Updates zu Projekten. "Mich in den sozialen Medien vermarkten, liegt mir nicht. Die Postkarten habe ich für Familie und Freunde schon öfter gemacht. Es ist gut, etwas Eigenes zu behalten, wenn ich an vielen Aufträgen arbeite." Das Abo-System "ist eine Verpflichtung, also nehme ich mir die Zeit. Sonst passiert es schnell, dass die eigenen Projekte hintangestellt werden." So wie das Skizzenbuch derzeit etwas kurz komme.
An einer eigenen Graphic Novel sitzt sie seit geraumer Zeit, ist aber pragmatisch: Das werde noch Jahre dauern, bis sie erscheine. "Ich finde es auch spannend, etwas mehr kreative Freiheit zu haben. Aber die Arbeit im historischen Kontext war sehr interessant", nun hofft sie, dass sie weiter in dem Medium arbeiten kann. Und das Reisen? Würde sie niemals aufgeben. "Es gibt Leute, die machen dieses Volunteering auch mit 50, 60 noch. Man muss da auch erst wieder herausfinden. Für mich hat es gut funktioniert, und es hat mir sehr gutgetan."
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