Besprechung vom 05.01.2025
Unterschätzt, verkannt und oft schlecht verklebt
"Am Boden" erzählt von einem Handelsvertreter für Teppichboden und einem in Ungnade gefallenen Bodenbelag.
Besprechungen von Romanen gehören, so vermuten wir, ohne die letzten Ausgaben eingehend studiert zu haben, nicht zur Kernkompetenz von "boden wand decke", dem "Fußbodenmagazin für Handwerk und Handel". Aber auch dort findet man ab und an treffende literarische Beobachtungen, zum Beispiel diese: "Es gibt nicht viele Romane, in denen die Bodenbelagsbranche eine Rolle spielt." Umso neugieriger machte uns ein Buch, das ausgerechnet den Teppichboden in den Vordergrund stellt. Nicht den Teppich, der auch heute noch in vielen Wohnungen herumliegt, sondern den flächendeckenden, in unserer Vorstellung oft etwas angeranzten Teppichboden, der jeden Winkel des Zimmers ausfüllt und selbst in Büros inzwischen nicht mehr allzu häufig verlegt wird.
Der Roman mit dem genialen Titel "Am Boden" erzähle, so schreibt der Autor Marc Lunghuß in einer E-Mail, von einem "Handelsvertreter für Teppichboden, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren die goldene Teppichbodenzeit erlebt, in den Neunzigern dann aber den Aufstieg des Parketts". Das Holz, so stellt Lunghuß fest, habe gewonnen. Eine Ehrenrettung des grauen Staubfängers - das wollten wir natürlich unbedingt lesen. Lunghuß legte dem Roman dann gleich noch einen Sticker bei, der sein Anliegen verdeutlichte: "I like Teppichboden".
Wenn man bedenkt, wie man seinen Alltag verbringt, in der U-Bahn, im Supermarkt, beim Staubsaugen, und wie viele Leute Optiker, Handwerker oder eben Vertreter sind, ist es eigentlich erstaunlich, wie wenig Raum diese Tätigkeiten und Berufe in der Literatur einnehmen. Haben Sie schon einmal in einem Roman gelesen, dass es auch eine Frage der Faser ist, wie gut sich ein Rotweinfleck entfernen lässt? Und wie man diesen sogenannten "Rotweintest" besonders effektvoll durchführt? "Am Boden" scheut diese Details nicht, Lunghuß steigt gleich zu Beginn tief ins Handwerk ein: "Schockierend, mit welcher Ignoranz so mancher Teppichboden verklebt ist. Absoluter Höhepunkt dieser Ignoranz ist die Verklebung auf voller Fläche. Ein vollflächig verklebter Teppichboden ist pure Zukunftsverweigerung, ist Todesverdrängung oder Ausdruck einer bösartigen, rachsüchtigen Persönlichkeit: Der Nachwelt soll nichts geschenkt werden, sie soll es verdammt noch mal schwer haben."
Natürlich ist der Teppichboden in diesem Roman dann doch eine Metapher: für den Wandel der Bundesrepublik, für das Leben des Vaters, den der Sohn, wie so viele Leute den Teppichboden, immer unterschätzt und verkannt hat. Das ist eine rührende Geschichte, aber Vater-Sohn-Geschichten kennen wir ja schon, wir wollen mehr Teppichbodengeschichten, gern auch etwas über Raufasertapete oder Badverkachelung. "boden wand decke" attestiert Lunghuß jedenfalls eine große Kompetenz, die er von seinem Vater, selbst Vertreter für Teppichböden, erworben haben müsse: "Anders wären die vielen Beobachtungen rund um Bodenbeläge in diesem Buch nur schwer zu recherchieren gewesen."
ANNA VOLLMER
Marc Lunghuß, "Am Boden". Roman. Bärmeier und Nikel, 193 Seiten
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