Besprechung vom 04.09.2025
Der Wutbürger erste Siege
Nai hämmer gsait! Markus Brauckmann schreibt eine Oral History der erwachenden ökologischen Bewegung in Deutschland.
Dieses Buch erzählt davon, wie ganz normale Leute zu Helden wurden. Diese Leute heißen Bernd und Irmgard, Walter und Dora oder Ursula und Josef. Ihre Geschichten sind berührend, weil sie auch von Niederlagen handeln, von Leid und Opfern, Erschöpfung und Zweifeln. Die Menschen in diesem Buch mussten lernen, was es heißt, sich mit den Falschen anzulegen: Landesregierungen, Ministerpräsidenten, Bischöfen, Wissenschaftlern und Chefs von Weltkonzernen. Am Ende mussten diese mächtigen Gegner aber auch lernen, wie es sich anfühlt, wenn man gegen Leute verliert, die man nicht ernst genommen hat. Ihre Geschichten spielen in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Deutschland in Gegenden, die gemeinhin als tiefste Provinz galten und dennoch in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen sind: Whyl, Kalkar, Wackersdorf. Die Kämpfe um diese Orte weit weg von den Großstädten veränderten das Land vielleicht tiefer und nachhaltiger als die Kämpfe der 68er in den Großstädten.
Etwa Bernd und Irmgard: Kinder des Wirtschaftswunders, aufgewachsen im badischen Kaiserstuhl. Eine Weinbauregion, katholisch, konservativ. Die CDU könnte hier einen Besen aufstellen bei den Landtagswahlen und würde trotzdem gewinnen. Die Gemeinde Whyl hat in den Siebzigerjahren 2700 Einwohner. Bernd Nösslers Eltern haben im Ort eine Bäckerei, der Sohn würde gerne Abitur machen und Theologie studieren. Daraus wird aber nichts, "du gehsch ins Gschäfft", muss sich Bernd in der heimischen Mundart von den Eltern anhören, also gehorcht der Bernd und wird Bäcker. Reben haben die Nösslers natürlich auch, wie eigentlich jeder im Dorf, und der Wein wächst hier schon seit mehr als zweitausend Jahren.
Im Juli 1973 erfahren die Whyler aus dem Radio, dass die Landesregierung ihnen ein Atomkraftwerk vor ihre Weinberge setzen will. Gefragt hatte sie keiner, und was dann geschah, ist Geschichte: Leute von Whyl und aus der Umgebung sagten Nein und wagten den Aufstand. Bernd Nössler genauso wie die Bauerntochter Irmgard Schneider, das sprichwörtliche katholische Mädchen vom Land, das aber im nahen Freiburg aufs Internat gehen durfte. Von dort kommt Unterstützung von den Studenten und Professoren der Universität, aber wer hier im Ländle mehr Demokratie wagt, sind die Winzer, die Handwerker, die bis dato eigentlich mit allem einverstanden waren, was aus Stuttgart gekommen ist.
Bis zum Februar 1975, als die Landesregierung Polizei schickt, um den von den Whylern besetzten Bauplatz des Atomkraftwerks räumen zu lassen. Da sei etwas kaputtgegangen, schreibt Markus Brauckmann in seinem Buch über die erste Generation der Umweltbewegung in Deutschland, bei jungen Menschen wie Bernd und Irmgard, aber auch bei ihren Eltern. Ein Urvertrauen in den Staat, die Demokratie, in Recht und Ordnung. Als der dafür Verantwortliche, Baden-Württembergs Ministerpräsident Hans Filbinger, ein Jahr später in die Gegend kommt, wird er von den Einheimischen fast gelyncht. Am Ende gibt die Landesregierung ihre Pläne auf, das Kernkraftwerk Whyl wird nie gebaut. Bernd, Irmgard und all die anderen Wutbürger aus dem Kaiserstuhl hatten gewonnen.
Die Geschichten, die Brauckmann in seiner "Oral History" erzählt, gleichen sich verblüffend. Was in der Rückschau doch überrascht, ist die Borniertheit der damals Mächtigen, ihre dickfellige Überzeugung, auf der Seite des Fortschritts zu stehen, die Verweigerung, zu kommunizieren, ergänzt durch ihre Verachtung des "dummen Landvolks", das man eben zu seinem Glück, zum Gemeinwohl zwingen müsse. Dabei zeigt das Buch, dass dieses Landvolk rasch in der Lage war, sich das nötige Fachwissen anzueignen und damit das aufzubauen, was man heute als "Gegenöffentlichkeit" kennt. Die Beteiligten verhehlen aber auch nicht, dass diese lokalen Widerstandszentren alles andere als Idyllen waren. Nicht jeder war dagegen, mancher ließ sich kaufen. Das führte auch zu Neid, Hass und Feindschaften im Dorf. Mancher gab auf, verkaufte seine Äcker und zog weg. Was gab denen, die blieben und weiterkämpften, die Kraft dazu?
Die meisten der Kämpfe, von denen Brauckmanns Gesprächspartner erzählen, waren lokale Konflikte. Auf den Transparenten von Whyl stand zwar "Kein AKW hier und auch nicht anderswo", aber als der Kampf gewonnen war, ging man eben wieder an die Arbeit und wählte auch wieder die CDU. Ja, man wollte die Schöpfung bewahren, aber doch vor allem die Schöpfung daheim und den eigenen Weinberg. Kraft zog man auch aus der Religion, der Familie, der dörflichen Gemeinschaft. Sicher auch aus Eigennutz - wer kauft schon Wein, der im Schatten der Kühltürme eines Atomkraftwerks wächst?
Eine allgemeine politische Programmatik aus der Gegnerschaft zur Kernenergie und anderen Technologien machten dann erst die Grünen daraus. Brauckmanns "Erste Generation" hatte im Unterschied zur heutigen "Letzten Generation" das Glück, dass sie nicht genötigt war, global zu argumentieren. Ihre Kraft zogen die Menschen aus der Gewissheit, dass sie nur diese eine Heimat hatten. Dabei ist Heimatliebe, davon erzählt das Buch, auch eine Art Borniertheit, eine Sturheit, ein Vorrecht, das man nicht widerspruchsfrei begründen kann. Konservativ zu sein, hieß für diese Leute, dass sie einfach schon länger hier sind und darum das Recht haben, ihre eigene Lebensweise höher zu schätzen als andere.
Am Ende bricht das Buch unvermutet ab. Ein Fazit, eine zusammenfassende Würdigung der ersten Generation fehlt. Das liegt auch daran, dass die Schüsse, die 1987 bei Protesten gegen die Startbahn West zwei Polizisten töteten, eben auch zu dieser Geschichte gehören. Aber was verbindet Bernd und Irmgard aus Whyl mit den militanten Autonomen in Frankfurt? Die Leute am Kaiserstuhl, wo 1987 längst wieder Ruhe herrschte, würden wohl sagen: gar nichts. Aber auch der Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens begann mit einer Besetzung im Wald und einem Hüttendorf, wo die "Langhaarigen und die Grauhaarigen" gemeinsam eine Gegenöffentlichkeit organisierten. Eine Erklärung für die Gemeinsamkeit dieser friedlichen Geschichten mit der Gewaltgeschichte der Siebzigerjahre liefert Brauckmanns Buch nicht. Sein Autor zeigt sich darin als begnadeter Storyteller. Ein Historiker mit Mut zur erklärenden Gesamtschau einer Epoche ist er allerdings nicht. GERALD WAGNER
Markus Brauckmann: "Die Erste Generation". Wie der Kampf für die Umwelt begann.
DVA Verlag, München 2025.
400 S., Abb., geb.
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