Um Würde oder ihr Fehlen geht es in diesen neun Erzählungen, in denen die Menschen sich bemühen, dem Ideal eines halbwegs gelungenen Lebens etwas näher zu kommen - oder doch am Ende nicht allzu zerknirscht dazustehen. Vom Alleinsein versehrt sind manche, »Engel auf Krücken«, die ahnen, dass es nicht unbedingt Flügel braucht, um über sich und die Umstände hinauszugelangen; Liebe würde schon genügen.
»Jede wahre, jede leuchtende Kurzgeschichte hat einen romanlangen Schatten«, schrieb Ralf Rothmann einmal und stellt es mit Museum der Einsamkeit erneut unter Beweis. Ob er von dem »Budenzauber« eines kleinen Jungen erzählt, der während der Abwesenheit der Eltern den weinenden Bruder tröstet, oder von einer Dozentin, die ihre Mutter in ein Seniorenheim mit seltsamen Kratzspuren an den Türen gibt, ob er einen Handlanger an der Seelenkälte der Maurer oder einen Pfarrer, dessen Tochter stirbt, an Gott verzweifeln lässt - immer offenbart sich uns eine »Wahrheit hinter der Wahrheit«, was nicht zuletzt an der Spannkraft und der magischen Genauigkeit von Ralf Rothmanns Sprache liegt.
Besprechung vom 22.05.2025
Soll das eine Parodie sein?
Ralf Rothmanns "Museum der Einsamkeit"
So sind sie, die Albaner: Fahren teure Autos, die sie sich zweifellos durch unlautere Methoden angeeignet haben, schwafeln von Familienehre und zücken sofort das Messer, wenn sie diese verletzt sehen. Unkultiviert wie sie sind, riechen sie entweder nach Schweiß oder benutzen viel zu viel Parfum.
So zumindest porträtiert Ralf Rothmann zwei Albaner in seiner Erzählung "Eine kleine Metall-Unterhaltung". Zu allem Überfluss schieben sie den obligatorischen Ganoven-Zahnstocher im Mund hin und her, duzen respektlos, tragen Vollbärte (womöglich Islamisten-Bärte!) und ziehen nicht einmal die Schuhe aus, wenn sie eine Wohnung betreten. Mit Messern immerhin hantieren sie nicht herum, sondern legen zeitgemäß eine Knarre auf den Wohnzimmertisch.
Eine Parodie? Nichts deutet darauf hin. Rothmann scheint es ernst zu meinen mit dieser Ansammlung sehr fragwürdiger Balkan-Klischees. Man sucht nach Ironiesignalen, nach einem doppelten Boden, findet aber nur weitere Stereotype. Der Erzähler der Geschichte, ein Verkaufsleiter für Leichtbauhallen, ist ein Blender, der eine gefälschte Rolex trägt, statt Sport zu machen ins EMS-Studio geht und meint, sich im Leben damit bewiesen zu haben, dass er eine Eigentumswohnung und einen 7er-BMW sein Eigen nennt. Nach einem Schlaganfall stellt er die Albanerin Vjosa als Pflegerin und Haushaltshelferin ein; nach kurzer Zeit wird sie praktischerweise auch seine Geliebte. Was ihren beiden Söhnen nicht passt. Alsbald kommen die jungen Männer im Lamborghini aus Tirana angebraust, schieben sich die von der Mutter zubereiteten Kutteln zwischen die Kiefer und halten dem Leichtbauhallen-Mensch die Knarre vor die Nase. Ihre Mutter sei doch keine Nutte!
Der Rezensent schüttelt entgeistert den Kopf und fürchtet, dass er irgendetwas nicht verstanden hat. Aber auch die anderen Erzählungen in Rothmanns Erzählungsband "Museum der Einsamkeit" arbeiten mit derartigen Klischees und Schablonen. So handelt "Normschrift" von einem schwulen Handwerksgesellen, der von den anderen Gesellen für sein Anderssein gepiesackt wird. Natürlich hat er irgendwann gerade mit jenem Gesellen leidenschaftlichen Sex, der ihn am ärgsten gepiesackt hat.
In "Die Melodie bei Nacht" erweist sich mal wieder einer der von Rothmann offenbar verachteten Geldmenschen, auch wenn er Keith Jarrett hört, als besonders unkultiviert und rüpelhaft, und in "Abschied von Baden-Baden" schließlich wird ein Immobilienmakler, wer sonst, als Inbegriff der Oberflächlichkeit in Szene gesetzt: "Um einiges jünger als sie mochte er sein, Mitte dreißig, und sichtlich ohne Geheimnis, das nicht auch andere hätten; dennoch beneidete sie ihn einen Moment lang um die Fraglosigkeit und Überschaubarkeit seiner Welt. Alles, was er dachte, mitteilte oder verschwieg, hatte schließlich mit Geld zu tun, sogar der Tod."
Um den Tod geht es auch in "Herr Dingens", der Geschichte um ein krebskrankes Mädchen. Wie nicht anders zu erwarten in Rothmanns kleiner Klischee-Fabrik, flattern am Ende Krähen vor dem Krankenhaus herum.
Das ist alles durchaus routiniert erzählt, gefällig, die Dialoge wirken mitunter aufgesetzt und so, als würden sich die Figuren gegenseitig etwas vorlesen. Fragwürdig erscheint es in seiner literarischen Leichtbauweise dennoch, nicht nur aus albanischer Sicht. Insbesondere die letzte Erzählung des Bandes macht "Museum der Einsamkeit" zu einem Ärgernis. Hier erzählt Rothmann, aus der Ich-Perspektive, die Geschichte des SS-Obersturmführers Albert Konrad Gemmeker, der das niederländische Lager Westerbork geleitet und den Transport von 80.000 Menschen nach Auschwitz organisiert hat. Gegengeschnitten wird Gemmekers Rechtfertigungsrede mit der Deportation der Jüdin Etty Hillesum, einer niederländischen Intellektuellen, deren Briefe aus dem Lager später veröffentlicht wurden. Ihr dichtet Rothmann mütterliche Instinkte an, als sie sich im Waggon nach Osten um einen verlassenen Säugling kümmert und das Kind an der Rampe in Auschwitz als ihres ausgibt.
Grenzt diese Szene an sich schon an Schwulst, drängt sich überdies der Eindruck auf, hier würde das Schicksal einer Jüdin benutzt, um literarischen Effekt zu erzielen. Überhaupt: Dass die Erzählung am Ende des Bandes steht - die Schoa sozusagen als Höhepunkt -, hinterlässt einen negativen Beigeschmack. Dann doch lieber Stereotype aus Baden-Baden. TOBIAS LEHMKUHL
Ralf Rothmann:
"Museum der
Einsamkeit".
Erzählungen.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2025.
272 S., geb.
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