Besprechung vom 23.09.2024
Schatzgräber wollen wir hier nicht mehr sehen
Ein Kindersachbuch über Pompeji
Wenn es um die römische Stadt Pompeji geht, die im Jahr 79 nach Christus nach dem Ausbruch des Vesuvs in einem Regen aus Asche und Gestein unterging, dann steht die enorme Menge an Informationen, die seit der Entdeckung und systematischen Untersuchung der Stadt auf uns gekommen sind, in starkem Kontrast zu unserer Wahrnehmung Pompejis. Wir sind es gewohnt, uns diesem Ort und seinen Hinterlassenschaften vorwiegend ästhetisch zu nähern, über die populärsten Wandbilder oder Fotos der Straßenzüge mit ihren rechtwinkligen Kreuzungen. Die Umstände ihrer Entdeckung, die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei ihrer Untersuchung seither und die konkreten heutigen Methoden stehen weit weniger im Fokus.
"Dusty Diggers" heißt eine Kinderbuchreihe, die im Leipziger Verlag Seemann erscheint. Bisher liegen Bände etwa zur Himmelsscheibe von Nebra, Haithabu oder Tutanchamun vor. Nun ist ein weiterer erschienen, der sich auf gut siebzig Seiten und mit einem erheblichen Bildanteil Pompeji widmet. Anders als Reihen wie beispielsweise "Das magische Baumhaus", die als Kinderbücher historisches Wissen vermitteln wollen und dafür stellvertretend Protagonisten im Alter ihrer Leser in die Vergangenheit schicken, treten hier in bestimmten Kapiteln fiktive Gestalten auf und wenden sich an die Leser.
Etwa die Hälfte des Buches ist der Entdeckungs- und Erforschungsgeschichte Pompejis gewidmet, und das bisweilen in einer in diesem Rahmen unerwarteten Tiefenschärfe. Wie 1592 beim Versuch, einen Kanal zu bauen, die erste Spur der unter einem Ascheberg begrabenen Stadt entdeckt wurde und warum ihr nicht groß nachgegangen wurde, ist Teil dieser umfangreichen Exposition ebenso wie die bedrückende Schilderung der rücksichtslosen Schatzgräberei, die 1709 im großen Stil einsetzt. Sie bleibt noch lange ein wichtiges Motiv für die Beschäftigung mit Pompeji - ganz verschwunden ist sie bis heute nicht, wie die jüngste Entdeckung eines Tunnels in der Umgebung der Stadt zeigt, dessen Gräber gerade noch rechtzeitig gestoppt werden konnten.
Aus der Faszination für das, was auf den ersten Blick wertvoll ist, wurde im Lauf der Zeit die Ehrfurcht angesichts der Möglichkeit, mit der unter der Asche konservierten Stadt eine Momentaufnahme römerzeitlichen Lebens zu erhalten. Der Band zeichnet diese Entwicklung prägnant nach, stellt die beteiligten Grabungsleiter detailliert vor und füllt damit eine Lücke, wenn auch mit wenig Sinn für die Zerstörung, die selbst die bestmeinenden Archäologen notgedrungen anrichten, indem sie unter die Erdoberfläche gehen. Von den Besuchermassen, die täglich in Zehntausenden in die Stadt einfallen, ganz zu schweigen. Der Segen, der jedenfalls darin liegt, dass bislang ein gutes Drittel von Pompeji eben nicht ausgegraben worden ist und in absehbarer Zeit auch nicht wird, hätte auch für junge Leser gut dargestellt werden können. Und auch die bisweilen etwas angestrengt kindgerechte Sprache hätte nicht sein müssen.
Trotzdem wird man das Buch insgesamt mit Vergnügen lesen, besonders in seinem abschließenden Teil über die heute angewandten Grabungstechniken und Diagnoseverfahren, die unter anderem von Robotern in Hundegestalt unterstützt werden. Auch die Innovationen der Vergangenheit wie etwa das Herstellen von Gipsabdrücken pompejanischer Leichen werden anschaulich und verständlich dargestellt - genauso wie die jüngste Hinwendung der Forscher zu den ärmeren antiken Einwohnern. TILMAN SPRECKELSEN
Silke Vry, Marie Geissler: "Dusty Diggers. Die angesagteste Imbissbude der Römerzeit".
E. A. Seemann Henschel Verlag, Leipzig 2024. 72 S., Abb., geb., 16,95 Euro. Ab 8 J.
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