Eine meisterhafte Betrachtung Albrecht Dürers und der deutschen Renaissancekunst
Die preisgekrönte Kulturhistorikerin Ulinka Rublack erzählt vom entscheidenden Wendepunkt in der Karriere Albrecht Dürers. Und bietet einen faszinierendern Einblick in die Welt von Kunst und Handwerk in einer Epoche, die uns bis heute prägt.
1511 fasst Albrecht Dürer einen radikalen Entschluss: Nachdem er sich mit dem Frankfurter Kaufmann Jacob Heller wegen eines Auftrages zerstritten hat, hört er auf, Altarbilder zu malen, und wendet sich anderen Werken zu. Dieser Konflikt ist dabei wie eine Linse, durch die man die neue Beziehung zwischen Kunst, Sammeln und Handel in Europa bis zum Dreißigjährigen Krieg beobachten kann. Denn mit dem beginnenden 16. Jahrhundert wurde Kunst Teil eines wachsenden Sektors von Luxusgütern und vollzog eine umfassende Kommerzialisierung. Kaufleute und ihre Mentalität waren entscheidend für ihre Verbreitung und Entstehung. »Dürer im Zeitalter der Wunder« entführt uns in die Gedanken- und Gefühlswelten Albrecht Dürers und den Kaufleuten seiner Zeit. Anhand von originalen Schriftstücken, Briefverläufen und Bildern zeichnet Ulinka Rublack eindrucksvoll die Geschichte Dürers, seines Werks und des aufkommenden europäischen Kunst- und Handwerksmarkt nach. Ein völlig neuer Blick auf einen prägenden Künstler und seine Epoche.
Besprechung vom 03.03.2024
Es beginnt mit einer Niederlage
Ulinka Rublack hat eine mitreißende Albrecht-Dürer- Biographie und eine Kulturgeschichte des Kunstmarkts geschrieben. Und sie wirft einen überraschenden Blick auf die deutsche Renaissance.
Von Julia Voss
Als Albrecht Dürer mitten in der Arbeit an einem ehrgeizigen Altarbild steckte, merkte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Der Preis, den er mit dem Auftraggeber ausgehandelt hatte, einem Frankfurter Kaufmann namens Jakob Heller, war zu niedrig. Die Summe deckte kaum die Materialkosten, darunter Ultramarin, das aus Lapislazuli gewonnen wurde, einem seltenen Gestein aus Afghanistan. Das viele Blau wurde etwa für Marias Mantel benötigt, deren Krönung und Himmelfahrt durch Gottvater und Jesus dargestellt werden sollte.
Dürer fasste sich ein Herz und schrieb im August 1508 an Heller: "Ich habe mir vorgenommen, Euch meine wohlüberlegte Meinung zu schreiben, dass ich ein solches Werk für 130 rheinische Gulden nicht anfertigen kann, wegen des Verlusts, den ich erleiden würde."
Stattdessen solle die Summe auf 200 Gulden erhöht werden. Dann könne der Auftrag, so Dürer, "wie geplant" ausgeführt werden.
Hellers Antwort ließ sieben Monate auf sich warten. Sie machte seinem Namen alle Ehre. Der Kaufmann, der wie das Geldstück hieß, das in der Redensart "bis auf Heller und Pfennig" zurückgezahlt werden muss, lehnte ab. Er schrieb: "Ich möchte den Preis gewiss nicht um drei Viertel erhöhen und die 200 Gulden zahlen, die ihr jetzt verlangt. Ich vertraue darauf, dass Ihr nicht wünscht, dass diese Angelegenheit vor dem Kammergericht verhandelt wird."
Wie jede gute Geschichte beginnt also auch dieses Buch mit einem Konflikt. Der Streit zwischen dem Nürnberger Maler und dem Frankfurter Kaufmann steht im Zentrum von "Dürer im Zeitalter der Wunder". Fünfzehn Jahre lang hat Ulinka Rublack, Professorin an der Universität Cambridge und preisgekrönte Autorin, recherchiert, um alle Wendungen dieser Auseinandersetzung erzählen zu können. Das Ergebnis ist ein ebenso überraschendes wie fesselndes Buch: Statt Dürers Biographie als geradlinige Erfolgsgeschichte zu erzählen, die den Maler zum bewunderten "Apelles des Nordens" machte, steht eine Niederlage am Anfang. Heller wird sich durchsetzen. Um Druck auf Dürer auszuüben, wird er rufschädigende Gerüchte in Umlauf bringen. Dem Maler bleibt keine Wahl.
Die Entscheidung, die Tiefen genauso ernst zu nehmen wie die Höhen, ist ein Geschenk an die Leserinnen und Leser. Auf den Seiten dieses Buchs verwandelt sich Dürer fortlaufend, mal hat er Oberhand, mal die anderen. Er ist einer, der ringt, zögert, sich freut oder ärgert, und vor allem einer, von dem man wissen will, wie es mit ihm weitergeht. Er ist ehrgeizig, eitel, originell, begeisterungsfähig und auch selbstironisch. Als er seine ersten grauen Haare entdeckt, im Alter von fünfunddreißig Jahren, schreibt er an seinen Freund Willibald Pirckheimer: "Es macht mich wahnsinnig. Ich habe an mir selbst ein graues Haar gefunden. Das ist mir vor lauter Armut gewachsen und weil ich mich so anstrenge." Das berühmte "Selbstbildnis in Pelzrock" von 1500, das Dürer mit langen gelockten Haaren zeigt, lag sechs Jahre zurück.
Rublack kann sich auf reiches Archivmaterial stützen. Als Ausgangspunkt dienen ihr neun Briefe, die Dürer an Heller geschrieben hat. Von kaum einem anderen Renaissancekünstler sind mehr Schreiben an seinen Mäzen überliefert. Flankiert werden die Dokumente von weiteren Aufzeichnungen, die der Maler hinterließ, wieder in größerer Zahl als fast alle seine Künstlerkollegen des 16. Jahrhunderts. Um die Zitate besser lesbar zu machen, hat Rublack sie modernisiert und in eine zeitgenössische Fassung gebracht. An der gewagtesten Stelle ihres Buchs formuliert sie selbst den möglichen Wortlaut von Hellers Antwortschreiben. Überdauert hat keiner seiner Briefe. Für Dürer gab es keinen Grund, die ärgerlichen Schreiben aufzubewahren. Ihr Inhalt lässt sich jedoch, wie Rublack zeigt, aus Dürers Briefen rekonstruieren.
Was spricht dafür, den Streit um das Altarbild ins Zentrum zu stellen? Vor allem der Schluss, den Dürer daraus zog. Er nahm nie wieder einen solchen Auftrag an. 1509 lieferte er Heller das gewünschte Werk, das als Heller-Altar berühmt wurde und durch das gesamte 16. Jahrhundert hindurch als sein bekanntestes Gemälde galt. 1511 stellte er außerdem den Landauer-Altar fertig, den Auftrag dafür hatte er jedoch bereits Jahre zuvor erhalten.
Die Erfahrung lehrte Dürer, dass ihm das Malen von großen vielfigurigen Kompositionen zwar Ruhm einbrachte - aber kein Geld. Heller hatte er vorgerechnet, dass er in der Zeit, die er in das Altarbild stecken musste, mit neuen Stichen 1000 Gulden hätte verdienen können. Aus dem Gedankenexperiment wurde ein Geschäftsmodell. Dürer, so Rublack, entwickelte sich zu einem Künstler, "der für den Markt produzierte, sich weigerte, von solchen Mäzenen abhängig zu sein, und sich selbst danach bewertete, wie viel er verdiente, sparte oder konsumieren konnte". Die Druckgrafik wurde zum Standbein.
Den Markt, auf dem sich Dürer behaupten musste, hat Rublack bereits in vorangegangenen Veröffentlichungen ausgelotet. In "Dürer im Zeitalter der Wunder" kann sie daher aus dem Vollen schöpfen. Das Buch zu lesen fühlt sich zeitweise an, wie einen rasenden Zug zu besteigen, in dessen Fenstern die merkwürdigsten Landschaften vorbeirauschen. Es ist eine deutsche Renaissance, wie Rublack schreibt, "die wir aus den Augen verloren haben". Gemälde gehören noch nicht zu den teuersten Luxusprodukten. Sie sind nur Teil eines nicht abreißenden Warenstroms, mit dessen Organisation sich reiche Männer in Nürnberg, Augsburg oder Antwerpen pausenlos beschäftigen. Blumenkohl gilt als raffinierte Köstlichkeit, die aus Zypern importiert wird. Pinienkerne werden als Aphrodisiakum geschätzt. Tomaten und Kartoffeln sind Seltenheiten. Begehrt werden Seidenmäntel, Pelze, Reiherfedern, weiße Lederstiefel oder eng anliegende Strümpfe in auffälligen Farben. Der Luxusartikelmarkt bringt ständig weitere Neuheiten hervor, für Männer nicht weniger als für Frauen.
Auch Dürer hält die Malerei nicht für die Handwerkskunst, die am höchsten bezahlt werden sollte. Als er nach Brüssel reiste, sah er dort die Werke aztekischer Handwerker, die aus Federn Kostüme, Schilde, Bettüberwürfe oder Waffenverzierungen hergestellt hatten. Die Artefakte waren vom spanischen Konquistador Cortés an Karl V. geschickt worden, um die blutige Eroberung Mexikos zu rechtfertigen. Dürer kam aus dem Staunen nicht heraus. Er schätzte den Wert der Federmeisterwerke auf die enorme Summe von 100.000 Gulden, das Vielfache jedes Preises, der ihm je gezahlt worden war. Nichts habe sein Herz so erfreut wie diese Federkunst, sollte er später festhalten.
Um zu verstehen, wie Dürers Gemälde schließlich doch noch in die oberste Liga der Luxusprodukte aufstiegen, erzählt Rublack die Geschichte über den Tod des Malers hinaus. Der zweite Protagonist ihres Buchs ist Hans Fugger, der reichste Mann der Welt, der sein Handelsimperium von Augsburg aus steuerte und sogar dem Papst Geld lieh. Der dritte Erzählstrang verfolgt schließlich die Entstehung des modernen Kunstmarkts, den der Händler Philipp Hainhofer ebenso befeuerte wie der bayerische Herzog Maximilian I. Letzterer erwarb 1614 die Mitteltafel des Heller-Altars. Das Frankfurter Dominikaner-Kloster, dem Heller das Bild gestiftet hatte, erhielt eine Kopie. Diese Kopie befindet sich heute im Historischen Museum in Frankfurt.
Dürers Kopisten verdanken wir, dass wir uns heute eine Vorstellung davon machen können, wie der Heller-Altar aussah: Als 1792 am Münchner Hof ein Brand ausbrach, wurde das Gemälde zerstört. Das Werk geriet in Vergessenheit. Eine der Vorstudien allerdings, die Zeichnung der "Betenden Hände", wurde weltweit berühmt und stieg zu einem wiedererkennbaren Zeichen auf. Im Jahr 2012, mitten in der Finanzkrise, fanden sich die Hände auf einer Hochhauswand in Athen, ins Riesenhafte vergrößert und mit den Fingerspitzen nach unten weisend.
Rublacks Buch ist vieles auf einmal. Eine mitreißende Dürer-Biographie. Eine Kulturgeschichte des Kunstmarkts. Und ein überraschender Blick auf die deutsche Renaissance. Wen die 640 Seiten schrecken sollten, der kann sich mit einer kleinen Rechnung beruhigen: "Dürer im Zeitalter der Wunder" enthält mehr als 80 Abbildungen und weitere 80 Seiten für Anmerkungen und Register. Keine der verbleibenden etwa 500 Seiten ist zu viel.
Im Fall Heller behielt Dürer auf lange Sicht das letzte Wort. Er musste Jakob Hellers Bedingungen akzeptieren, aber einen Vorteil hatte er auf seiner Seite. Unter allen Luxusgütern besaß die Malerei das beste Potential, Jahrhunderte zu überdauern. Ihre Haltbarkeit würde zu einem ihrer wichtigsten Alleinstellungsmerkmale werden. Sie existierte weiter, nachdem sich alle 4000 ledernen Tennisbälle aufgelöst hatten, die Hans Fugger für den konsumsüchtigen Kronprinzen Wilhelm von Bayern aus Antwerpen bestellte, zusammen mit zehn Schlägern. Sie strahlte in den schönsten Farben, nachdem die passende Indoor-Tennisanlage längst aus Innsbruck geliefert und wegen Mängeln wieder zurückgeschickt worden war. Und selbst in Kopie überlieferte sie auch Jahrhunderte später die Rache, die Dürer nahm.
"Ich weiß, dass Ihr sie sauber haltet, dass sie 500 Jahre frisch sein wird", schrieb Dürer an Heller und meinte die Altartafel. Auf dieser verewigte er sich selbst, in einem Ganzkörperporträt, in feinstem Seidenmantel, engen Strümpfen und mit makellos gelocktem Haar. Das Schildchen, das sich heute in jedem Museum neben einem Kunstwerk befindet, war noch nicht erfunden, als Dürer es für sich in Szene setzte: Groß wie ein Ladenschild steht es bei ihm auf dem Boden. Die eine Hand hält es, die andere zeigt darauf. Die lateinische Inschrift vermerkt: "Albertus Dürer, der Deutsche, hat dies gemacht nach der Jungfrauen Niederkunft [im Jahre] 1509."
Das Ehepaar Heller dagegen, die beiden Stifter, fanden sich auf unterer Ebene wieder, schablonenhaft und vor grauem Hintergrund. "Sie wurden als untergeordnete, durchschnittliche Figuren dargestellt, aufrichtig vertieft in ihre Andacht", schreibt Rublack. Dürers Rache war süß.
Ulinka Rublack: "Dürer im Zeitalter der Wunder - Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt". Aus dem Englischen von Nastasja Dresler, Verlag Klett Cotta, 640 Seiten
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