"Die Dolmetscherin" von Titus Müller ist als Taschenbuch bei Heyne erschienen und hat 416 Seiten.
Titus Müller hat in diesem historischen Roman Fiktion und Realität gekonnt zu einer ungemein fesselnden, atmosphärisch dichten Geschichte verwoben, die mir sehr unter die Haut ging.
Asta ist Dolmetscherin und wird bei den Nürnberger Prozessen für die Amerikaner übersetzen, nachdem sie sich zuvor bereits Kurhotel »Palace« in Mondorf-les-Bains, in dem die Nazi-Größen vor den Prozessen interniert waren und wo die Amerikaner versucht haben, etwas aus den Naziverbrechern über ihre Gräueltaten herauszubekommen, selbst eingebracht hat. Zugleich spioniert Asta jedoch auch für die Russen und hat hinsichtlich der Angeklagten Nazis, insbesondere Hermann Göring, sehr persönliche Motive. Und dann trifft sie auch noch Leonhard wieder, den sie im Palace bereits als Kriegsgefangenen kennengelernt hatte und der offensichtlich auch so einiges zu verbergen hat. Zwischen den beiden entsteht eine Beziehung, die auf tönernen Füßen steht...
In meinen Augen ist es dem Autor unglaublich gut gelungen, sowohl die geschichtlichen Fakten zu den Nürnberger Prozessen auf hochinteressante Weise zu vermitteln, als auch durch die vielschichtigen, abwechslungsreichen Charaktere und deren Hintergründe eine breite Palette von Emotionen zu erzeugen, durch die das Ganze ungemein authentisch herüberkommt und eine Atmosphäre entsteht, die die Leserinnen und Leser ganz dicht am Geschehen teilhaben lässt.
Besonders gut wird auch die moralische Komponente des eigenen Gewissens beleuchtet, an kleinen und an großen "Dingen" - das kann ich nicht näher erläutern, ohne zu spoilern...
Was mir auch supergut gefallen hat, ist der tiefe Einblick in die Simultanübersetzung - das ist wirklich toll erklärt und Asta und ihre Kollegen haben meine volle Bewunderung, das erfordert ja höchste Konzentration und es ist unmöglich, den Anschluß wiederzufinden, wenn die Gedanken kurz abschweifen.
Asta ist eine klasse Frau, engagiert, hartnäckig, geraudeaus, dabei aber absolut empathisch und für Andere da. Auch die anderen Charaktere sind sehr gelungen - bester "Nebendarsteller" ist eindeutig Robert, Leonhards Sohn, der ein so hartes Leben hat und dabei so bescheiden und für Kleinigkeiten dankbar ist - beeindruckend!
Durch die Kombination von Fakten und Fiktion bekommt das Ganze so eine gewisse Leichtigkeit, die den Lesefluss ungemein positiv beeinflusst, aber den Tatsachen nichts von ihrem Schrecken nimmt. Und durch die unterschiedlichen Handlungsstränge und Erzählperspektiven bekommt man einen Einblick in die damaligen Geschehnisse aus ganz anderen Sichtweisen, was ich permanent aufgesogen habe.
Ein grandioser, top recherchierter Roman zwischen Schwärze und Zuversicht, der fesselt, bestens unterhält und noch lange nachhallt - unbedindgte Leseempfehung von mir!