Die Sucht nach Aufmerksamkeit gehört nicht zu den sieben Todsünden. Das offenbart allerdings auch, dass es auf der nach oben offenen Skala menschlicher Unzulänglichkeiten noch viel Platz gibt. Manch Zeitgenosse glaubt ernsthaft, dass eine gewisse Verrohung der Sitten technischen Errungenschaften wie der Vernetzung auf Internetplattformen in die Schuhe geschoben werden kann. Doch Menschen haben sich nicht geändert, nur eben ihre Möglichkeiten sich öffentlich zur Schau zu stellen. Und davon wird rege Gebrauch gemacht.Während früher Mittelmaß und Gewöhnlichkeit keine Bühne fanden, stellten trickreiche Erfinder sie ihnen in unserer Zeit zur Verfügung. Jeder, der glaubt, hinter seinem engen Horizont ginge es nicht weiter, kann nun sowohl sein Wahrnehmungsdefizit als auch seine Beschränktheit öffentlich darbieten. Man muss nur genügend andere aus der gleichen intellektuellen Preisklasse finden, die dem eigenen Schwachsinn folgen, um dann auch noch Kohle damit zu machen.Dieses Buch zeigt nun in Romanform ziemlich übertrieben, aber erst dadurch treffend, wie innerhalb kürzester Zeit mit ans Kriminelle grenzenden Methoden diese Art von Öffentlichkeit für ein zahlreiches Publikum hergestellt werden kann. Es ist damit eine Art Anleitung dafür, wie der Laden funktioniert.Lotte ist die Heldin dieser Geschichte. Und Lotte hat ein Buch über ihre Erlebnisse auf Tinder veröffentlicht. Ein Knaller ist ihr Text scheinbar nicht, denn die Verkaufszahlen gehen keineswegs durch die Decke. Eine andere Autorin mit einem ähnlichen Buch hat dagegen einen durchschlagenden Erfolg. Und auf ihrem Instagram-Account eine stattliche Anzahl von Followern. Das scheint der Unterschied zu sein.Aber Lotte soll geholfen werden. Ihre Freundin Tessa, im Nebenberuf Hackerin, beschließt, Lotte hinreichend berühmt zu machen. Wie sie das anstellt, offenbart dem Leser die ganze Maschinerie dieser Welt der peinlichen Selbstdarstellung. Innerhalb einer kurzen Zeit kommt Lotte auf ihren Accounts, die von einer extra dafür beschäftigten Angestellten geführt werden, auf eine Million Follower. Durch Follower-Käufe, vielfältige Manipulationen, geschickte Inszenierungen, Lügen und ausreichend Selbstdarstellung mit allen Tricks, die man sich vorstellen kann.Das ist der interessante Teil dieser Geschichte. Hinter einem erfolgreichen Instagram-Account dieser Größenordnung steckt aber auch ein gewaltiger Druck, denn nachlassen kann man ab einer gewissen Stufe nicht mehr. Nur wer postet, existiert, wie es treffend dazu im Buch heißt. Wie also kommt Lotte wieder aus dieser Nummer heraus? Mit diesem Teil der Geschichte fängt das Buch an etwas zu schwächeln. Nicht übermäßig, aber durchaus fühlbar.Während die erste Hälfte gelegentlich Sätze zum Einrahmen hervorbrachte, kommt die Handlung nun ins leichte Stottern. Die anfänglichen Übertreibungen passten zum Irrsinn von Instagram und TikTok. Die Geschichte danach verharrt jedoch in solchen Übertreibungen außerhalb der Plattformen. Das ist wohl der Fluch dabei: Lässt man sich erst einmal auf den ganzen Schwachsinn ein, dann ist der Ausweg nur noch schwer zu finden. Die Autorin entdeckt für sich schließlich einen, aber der ist wenig glaubhaft, weil ihr Text dann wohl mehr Käufer gefunden hätte, als er es tatsächlich hat.Ich finde allerdings, er hätte viel mehr verdient, weil er sehr lehrreich ist und vieles treffend auf den Punkt bringt. Ändern wird das alles natürlich nichts, denn Irrsinn ist eine Konstante in der menschlichen Geschichte, an der schon die Göttliche Sintflut gescheitert ist. Im Gegenteil: Vielleicht finden manche sogar Tipps in diesem Buch.