Schade, weil ich dachte, dass ein Politik-Professor selbst an einer Bundeswehr-Universität wenigstens einen Rest von Objektivität besitzen sollte. Aber eigentlich hätte ich es besser wissen können. Jemand, der in Talk-Shows des ÖRR omnipräsent ist, muss bestens an das dortige Niveau angepasst sein, sonst wäre er nicht Dauergast.Der Autor beschreibt in seinem Büchlein folgendes Szenario: Russland hat den Ukraine-Krieg gewonnen. Dann überfällt es die estnische Stadt Narva, in der 95 Prozent Russen leben. Die NATO zögert mit einer Reaktion und beweist damit ihre Unfähigkeit. Im Text kommen dann die üblichen Stichworte vor: Putin ist ein Diktator, der das russische Imperium ausdehnen will. Die Dämonisierung eines anderen Staates und seiner Obrigkeit ist ein gängiges Propagandamittel, das vom Westen schon gegen Serbien, den Irak und Libyen erfolgreich angewandt wurde. Wir sind die Guten und die anderen die Bösen. Damit lässt sich eine Menge machen. Allerdings kennt das Völkerrecht weder gut noch böse.Als Militärexperte müsste Masala wissen, dass der Ukraine-Krieg längst verloren ist. Es fällt ihm offenkundig schwer, diesen Krieg richtig einzuordnen und seine Ursachen zu benennen. Ich will darauf hier nicht weiter eingehen, weil bereits ein Blick auf politische Landkarten von 1990 und im Vergleich dazu von 2014 eigentlich alles erklärt, wenn man objektiv an die Sache herangeht. Zur Zeit der Entspannungspolitik galt, dass man die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer erreichen kann. Genau das aber hat der Westen nach 1990 versucht. Mit dem Putsch von 2014 und der nachfolgenden Aufstellung der Ukraine gegen Russland wurden russische rote Linien deutlich und bewusst überschritten. Gegen Mittelstreckenraketen des Westens in der Ukraine hätte Russland praktisch für seine Machtzentren keine Vorwarnzeit mehr. Das kann sich keine Atommacht gefallen lassen. Und das würden sich die USA im symmetrischen Fall auch niemals bieten lassen. Die nationale Sicherheit der USA ist bekanntlich bereits sehr weit vor ihrer Haustür in Gefahr.Nun zum Szenario des Autors: Was hätten die Russen von einem Einmarsch in die estnische Kleinstadt Narva? Nichts außer Ärger. Und irgendwie sollte man sich in den Propaganda-Abteilungen des Westen mal einig werden: Entweder pfeift Russland aus dem letzten Loch oder es steht morgen vor Berlin. Was denn nun?Russland kann sich in der Tat keinen großen Krieg leisten, der jetzige ist schon eine Herausforderung. Und zwar nicht nur ökonomisch, sondern vor allem demografisch. Ähnlich wie in Deutschland hat der letzte Weltkrieg Lücken in die Bevölkerungspyramide geschnitten, die sich über Generationen nicht schließen lassen. Dazu kommt in Russland die katastrophale Wendezeit unter Jelzin, die das Problem noch verschärfte. Hohe Verluste in einer weiteren jungen Generation kann das Land kaum noch kompensieren. Schon deshalb hat Russland kein Interesse an neuen Kriegen. Und was sollte Russland eine Eroberung seiner westlichen Nachbarn bringen? Es hat wahrscheinlich schon genug damit zu tun, die eroberten Gebiete der Ukraine in sein Reich einzugliedern und sie wieder aufzubauen. Das kostet enorme Ressourcen.Was steckt also hinter der Kriegspropaganda, die nun leider auch Masala betreibt? Man kann eine simple Vermutung bekommen: Die Waffenarsenale der europäischen NATO-Staaten sind leer. Die Milliarden der in der Ukraine sinnlos versickerten Hilfen stehen nicht mehr zur Verfügung. Wie soll man der eigenen Bevölkerung nun vermitteln, dass man Unsummen ins Militär stecken muss, um das alles zu kompensieren? Dazu muss Angst her. Angst vor den Russen, denn die ist vor allem in Westdeutschland leicht zu erzeugen, schließlich war sie jahrzehntelang die übliche Propaganda während des Kalten Krieges.Kurzum: Dieses Büchlein besitzt keinen intellektuellen Wert, es ist blanke Propaganda in Form einer Spekulation mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit des Eintreffens.Wie primitiv das alles ist, sieht man beispielsweise an den jüngsten Verdrehungen, denen Masala in einer Talk-Show nicht widersprochen hat. Der Aufbau eines neuen russischen Militärbezirks nahe der finnischen Grenze wurde dort von einem Bundeswehrgeneral als Beweis für die Aggressivität Russlands gewertet. Dabei ist sie eine symmetrische Reaktion auf den NATO-Beitritt Finnlands. Wegen der ehemals ausgezeichneten Beziehungen zu Finnland bestand vorher kein Anlass für einen solchen Militärbezirk, weshalb es ihn auch nicht gab.