Schon das düstere Cover von Astrid Kortens Psychothriller Kretin weckte meine Neugier - und ich kann vorwegnehmen: Das Buch hat meine Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen.Die Geschichte setzt im Juli 2006 ein, als in der Nähe von Gröbenried ein junges Paar brutal enthauptet aufgefunden wird. Einer der beiden Toten ist der Sohn eines einflussreichen Münchner Verlegers. Mit den Ermittlungen werden die Hauptkommissare Joshua Krabbe und Elva Tillström betraut - zwei Figuren, die im Verlauf der Handlung an Tiefe gewinnen und mir zunehmend ans Herz gewachsen sind. Beide sehen sich nicht nur mit einem äußerst rätselhaften Fall konfrontiert, sondern auch mit persönlichen inneren Spannungen. Besonders eindrucksvoll fand ich, wie verwirrend die Ermittlungen für beide - und damit auch für mich als Leserin - geraten. Immer wieder glaubte ich, auf der richtigen Spur zu sein, nur um kurz darauf erneut in die Irre geführt zu werden.Parallel zur Gegenwart entwickelt die Autorin einen zweiten Handlungsstrang, der im Jahr 1936 einsetzt. Hier steht Benno im Mittelpunkt, ein gesellschaftlich Ausgestoßener, von den Dorfbewohnern als "Kretin" verspottet. Zunächst bleibt unklar, wie dieser historische Strang mit den aktuellen Morden zusammenhängt ,doch nach und nach entfaltet sich ein beklemmendes Bild, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart auf verstörende Weise berühren.Das Wechselspiel zwischen den beiden Zeitebenen sorgt für eine düstere, vielschichtige Atmosphäre und hält die Spannung durchgehend hoch. Astrid Korten versteht es meisterhaft, psychologische Spannung aufzubauen und mit den Erwartungen der Lesenden zu spielen. Bis zum Schluss bleibt offen, wie alles zusammenhängt - und was es mit dem Mythos um den "Kretin" auf sich hat, der über Generationen hinweg im kollektiven Gedächtnis des Dorfes nachhallt.Besonders hervorheben möchte ich die bildhafte, oft metaphorische Sprache, mit der Korten das Unheimliche und Bedrohliche fast greifbar macht. Ein Zitat, das mir besonders im Gedächtnis geblieben ist:<p data-end="2478" data-start="2359">"Der See war still geworden. Aber niemand glaubte, dass er bereits alle seine Geheimnisse preisgegeben hatte." (S.¿174)Auch die Figurenzeichnung überzeugt: Die Ermittler wirken glaubwürdig und vielschichtig, die Nebenfiguren sind sorgfältig entwickelt, manchen davon möchte man lieber nicht persönlich begegnen. Die Handlung ist rasant, atmosphärisch dicht und voller unerwarteter Wendungen. Das Ende kam für mich völlig überraschend und hat mich auch nach dem Zuschlagen des Buches nicht losgelassen.Fazit:<br data-end="2877" data-start="2874">Kretin es ist Böse, ist ein intensiver Psychothriller mit einer bedrohlich dichten Atmosphäre. Astrid Korten gelingt es, komplexe Themen in eine fesselnde Handlung einzubetten. Wer atmosphärische, vielschichtige Thriller schätzt, dürfte hier auf seine Kosten kommen. Eine klare Empfehlung - und die Hoffnung, dass noch viele weitere Geschichten dieser Art folgen. Und für mich bleibt tatsächlich die Frage: Ist das Böse in einem Menschen angeboren oder wird jemand aufgrund der Umstände, unter denen er aufwächst, erst zu einem bösen Menschen?