Besprechung vom 13.12.2024
Das Erbe der Zwiebel
Dieses "Büchlein", wie es gleich im ersten Satz tiefstapelt, ist vieles in einem: Almanach, Anthologie, Chronik, Festschrift, Fotoalbum, Geschäftsbericht, Katalog. In elf Kapiteln blättert es die Geschichte des Verlags Klaus Wagenbach auf, und die Mischung seiner Formen, Stile und Stimmen spiegelt auch das Heterogene wider, mit dem sein Gründer ihn ab 1964 geführt und entwickelt hat: undogmatisch, gut gelaunt, unabhängig. Als Schloss-Forscher (Kafka), deutsch-deutscher Grenzgänger und italienverliebter Transalpinist erstreckte der "junge linke Mann" (KW über KW) seine Neugier und Entdeckerfreude von Beginn an in verschiedene Richtungen.
Anarchie, Geschichtsbewusstsein, Hedonismus - mit dieser Trias umreißt Wagenbach 1979 "ungefähr" seine Absichten. Susanne Schüssler, die ihm 2002 nachfolgt, ersetzt sie - "eine leichte Verschiebung" - mit "Widerständigkeit, Überzeugung und Sorgfalt". Konsens-Lektorat und Mut zum Dissens, Autorenpflege und prägnante Ausstattung konturieren das Programm, das sich im Spannungsfeld zwischen Roter Kalender und Vasaris Vitensammlung, Erich Frieds Liebesgedichten und Pasolinis "Freibeuterschriften" bewegt.
Knapp neunzig Autoren hinterlegen ihre Visitenkarte. Was dazwischen von der Arbeit des Verlags berichtet (und bis hin zu Umsatzzahlen und Auflagenhöhen auch verraten) wird, gibt Einblicke in die Kunst des Büchermachens. Vieles wird angesprochen: Kontinuitäten und Neuerungen, Konzepte und Konflikte, Überraschendes und Untergegangenes, Erfolge und Verlustgeschäfte. Die literarischen und kunsttheoretischen, politischen, ökonomischen und juristischen Fragen haben sich über die Jahre verändert: So entsteht ein Kommentar zur Zeitgeschichte, erzählt durch das Prisma eines Verlags, der, wie er Debatten führte und begleitete, daran mitgeschrieben hat. Das "Büchlein" geht bis zu den unruhigen, unsicheren Anfängen zurück. Selbst sein Preis erinnert daran. aro.
"60 Jahre
Wagenbach".
Almanach zum
Jubiläum.
Hrsg. v. Susanne Schüssler.
Wagenbach Verlag, Berlin 2024. 208 S., Abb., br.
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