»Immer mehr von weniger« hat die beiden Untertitel »Das Verschwinden meiner Mutter« und »Eine Familiengeschichte mit Demenz«. Damit ist das Thema genial umrissen.
Die Autorin lässt sich auf die Reise ihrer Mutter ins Vergessen ein und begegnet dabei immer auch sich selbst. Das Beschreiben der Krankheit springt und wechselt wie die Erinnerungen selbst in den Zeiten und den Genres. Das irritiert manchmal beim Lesen und stört den Lesefluss, doch es entspricht ziemlich gut der Verwirrung im Kopf der Mutter.
Der Autorin ist es gelungen, mit dieser »Unordnung« die Sprunghaftigkeit und Verunsicherung nachvollziehbar zu machen, die die Betroffene in den Jahren ihrer Erkrankung erlebt. Das Buch umfasst Biografisches, Krankengeschichte, Imagination, Familiengeschichte, philosophische Betrachtungen sowie persönliche Reflexion und liest sich spannend mit hohem Mehrwert.
Es gibt gelungene Sprachbilder, die mir besonders im Gedächtnis bleiben werden:
»Die Fragen (nach dem Erfahren der Diagnose) hingen klamm zwischen den nassen Handtüchern, Hemden und Schlafanzügen auf der Leine. Der salzige Geschmack der Tränen mischte sich mit dem frischen Geruch des Waschpulvers. In ihrer säuberlichen Reihung gab die Wäsche ein gutes Bild ab von einer Ordnung, die nur noch an einem dünnen Faden hing.«
Es spricht große Bewunderung für die Mutter aus den Zeilen der Autorin, die trotz heftiger Herausforderungen im pflegerischen Bereich bis zum Ende in der Liebe bleibt. Davon zeugt auch eine besondere Imagination, die die Autorin sich selbst, dem Buch und seiner Leserschaft schenkt. Unbedingt lesenswert!