Die Geschichte von Christa Wolfs "Kassandra" beginnt eigentlich am Ende: Kassandra sitzt auf dem Beutewagen des Agamemnon, weiß, dass sie bald getötet werden wird, und blickt auf ihr Leben zurück. Ihre Gedanken mäandern dabei, nach und nach offenbart sich ihr Schicksal. Kassandra gehört zur Oberschicht in Troja, ihr Vater ist ein mächtiger Mann, sie möchte gerne Seherin werden. Diesen Wunsch erfüllt ihr der Gott Apollo zunächst, weil er mit ihr schlafen möchte, als sie sich weigert, verflucht er sie: Sie kann zwar die Zukunft vorhersehen, aber niemand wird ihr glauben. So sieht sie auch den Fall Trojas voraus, muss aber hilflos zusehen, wie sie und alle Menschen, die sie liebt, ins Verderben gestürzt werden.Christa Wolf, eine der wichtigsten Autorinnen der DDR, interpretiert die Geschichte des Trojanischen Krieges mit "Kassandra" neu, sie verleiht ihr eine weibliche, feministische Perspektive, was ich grundsätzlich großartig finde. Leider habe ich den Text aber als extrem schwer zugänglich und sehr wirr empfunden, ich konnte Wolfs Erzählung nur mit großer Mühe folgen. Die poetische Sprache scheint, obwohl 1983 erschienen, wie aus der Zeit gefallen, es gibt keine Kapitel, kaum Absätze. Während und nach dem Lesen des Romans habe ich viel zu Hintergründen und Interpretationen recherchiert, so habe ich doch ein wenig mehr verstanden - richtig Spaß macht das Lesen aber nicht. Wodurch mir Christa Wolfs Kassandra und die Frauen Trojas letztlich aber doch näher gebracht wurden, sind die ausdrucksstarken und farbprächtigen Illustrationen von Nadine Prange in der neuen, wunderschönen Ausgabe der Büchergilde. Textstellen, die der Illustratorin besonders ins Auge fielen, hat sie eindrucksvoll bebildert, manche Motive kehren immer wieder. Von mir gibt es daher eine Empfehlung insbesondere für die Büchergilde-Version der "Kassandra" - für das Buch selbst muss man finde ich schon sehr Fan von Literaturinterpretation sein, um es wirklich genießen zu können.