Besprechung vom 24.06.2024
Das Leben von Milton Friedman
Neue Biographie über den Wirtschaftsnobelpreisträger
Milton Friedman isn't running the show anymore" - so stellte Joe Biden noch 2022 erleichtert fest, dass die Ära des von den "Chicago-Boys" beherrschten politischen und ökonomischen Denkens beendet sei. Deren Vorherrschaft wiederum, so ist in solchen Schilderungen stets mitgedacht, habe eine von John Maynard Keynes geprägte Epoche verdrängt, die bis in Bidens Jugend reichte.
Beide Leitfiguren betrieben noch eine Politische Ökonomie im älteren Sinne und betonten Ideen, die "herumliegen", bis sie politisch wirksam werden (Friedman), wobei die Handelnden meist unbewusst von einem "verstorbenen Ökonomen" beeinflusst werden (Keynes). Dennoch stehen ihre Lehren sich wie These und Antithese gegenüber - und dies arbeitet die Historikerin Jennifer Burns in einer monumentalen Friedman-Biographie heraus.
Friedmans aus dem damaligen Ungarn eingewanderte Eltern betrieben ein Textilgeschäft in Rahway, New Jersey, wo Milton ein Jahr nach dem Tod des Vaters als Sechzehnjähriger die Highschool abschloss und mithilfe eines Stipendiums sein Studium an der Rutgers University begann. Dort belegte er auch ein Seminar des jungen Dozenten Arthur F. Burns, der seither die Rolle des väterlichen Freundes übernahm, bis er als Vorsitzender der Federal Reserve Friedmans Unmut erregte.
Ausgestattet mit einem Bachelorabschluss, wechselte Friedman 1932 an die Universität Chicago, wo er sich der "Room Seven Gang" anschloss, dem Fanklub Frank Knights, der prägenden Figur. Zur Gruppe, die sich in dem namensgebenden Raum der Fakultät traf, gehörten neben den Assistenzprofessoren Henry Simons und Aaron Director auch Graduierte wie Directors Schwester, die spätere Rose Friedman, oder George Stigler. Es war diese Gruppe, die zu Knights fünfzigstem Geburtstag aus einigen seiner Aufsätze dessen bekanntestes Buch, die "Ethics of Competition", zusammenstellte. Im Gegensatz zur Columbia-Universität in New York, wo man auf Planung setzte, stand Chicago für Wettbewerb und stabiles Geld, weshalb der wesentlich von Simons entworfene "Chicago-Plan" von 1933 mit "Vollgeld" oder "100-Prozent-Geld" verhindern wollte, dass Banken durch Kreditvergabe Geld schöpften.
Stellen für Ökonomen entstanden freilich eher in Washington, wo Rose und Milton Friedman 1936 bis 1946 in einigen der neuen New-Deal-Institutionen arbeiteten. Ebenfalls nahe an der Politik, im National Bureau of Economic Advisors, war Arthur Burns gelandet, der Friedman auf seine Mitarbeiterin Anna Schwartz hinwies.
1946 wurde eine Professur in Chicago frei, wo Friedman nun, von Frank Knight weiterhin gestützt, mithilfe des ebenfalls zurückgekehrten George Stigler und des dazustoßenden Ronald Coase die Schule anführte. Doch fiel ihm diese Rolle erst zu, nachdem er gemeinsam mit Anna Schwartz "A Monetary History of the United States 1867-1960" veröffentlicht hatte. Zum Erfolg des Buches trug bei, dass es einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel brachte, der zugleich erkennbar politisch war. Mit der Evidenz, die wohl Anna Schwartz und ihren Tabellen zu verdanken war, etablierten die beiden Autoren eine Erklärung der "Great Depression" aus der Entwicklung der Geldmengen, also der verfehlten Regulierung durch die Fed. "Money matters" - und nicht der Markt, sondern die Politik hatte versagt. Damit war der Versuch, Konjunkturzyklen zu steuern, ebenso diskreditiert, wie der Glaube an eine inverse Beziehung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit.
"Monetarismus", wie die Position nun hieß, bestand aus zwei Elementen: der stetigen und gleichmäßig regelhaften Steuerung der Geldmenge als der einzig legitimen Staatsintervention und der Anwendung der Preistheorie auch auf soziale Probleme. So empfahl Coase lange vor jeder Umweltökonomie einen Preis für Externalitäten wie Luftverschmutzung, und Friedmans späterer Vorschlag einer "Negativen Einkommensteuer" argumentierte mit dem Preis der Armut für die Steuerzahler. Direkte Zahlungen an Betroffene sollten nicht nur die Wohlfahrtsprogramme und deren ausufernde Bürokratie beseitigen, sondern auch ihren Paternalismus. Es erübrigte sich, verschuldete von unverschuldeter Armut zu unterscheiden. Der Ansatz führte schließlich zum "Earned Income Tax Credit", dem wirksamsten amerikanischen Programm der Armutsbekämpfung, von dem heute mehr als 20 Millionen Familien profitieren - womit aber schon die Nachwirkungen angesprochen sind, die Jennifer Burns nicht mehr behandelt. Stattdessen konzentriert sie sich auf Friedmans Rolle als öffentlicher Intellektueller in den drei Jahrzehnten zwischen dem Nobelpreis 1976 und seinem Tod 2006, eine Sichtbarkeit, die ihn freilich auch zum lohnenden Ziel machte. So, als er sich durch die Kritik an der ruinösen Hinterlassenschaft Allendes, ebenso wie Friedrich Hayek, den Vorwurf einhandelte, die Gewalt Pinochets nicht entsprechend zu beschreiben.
Er warb mit Kommentaren in "Newsweek", der Fernsehserie "Free to Choose" oder dem Buch "Capitalism and Freedom" dafür, das Preissystem nicht nur als wirksamste Zusammenarbeit von Individuen zu verstehen, sondern auch als Mittel der Verfolgung kollektiver Ziele, das jeder Regulierung überlegen sei. Und schließlich bleibt er nicht nur mit seiner Unterstützung Ronald Reagans als Republikaner der älteren Art in Erinnerung, die man schmerzlich vermisst. MICHAEL ZÖLLER
Jennifer Burns: Milton Friedman - The Last Conservative. Macmillan US, New York 2023, 592 Seiten
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