Freundliche junge Damen - eine Wiederentdeckung in einer wachsenden rororo-Reihe von vergessenen Büchern.
Elsie ist ein behütetes Mädchen aus Cornwall, das zu Beginn gleich recht eindeutig beschrieben wird: "Elsie war im Vorjahr ohne Abschluss von der Schule abgegangen. Ihre Hausarbeiten seien einfallslos", so die Lehrerinnen, "sie sei sicherlich eine Enttäuschung für die Eltern". Ihre Aussichten in dem abgelegenen Dorf, im Hause ihrer sich ständig streitenden Eltern, sind so trostlos, dass das sonst antriebslose Mädchen es irgendwann schafft, den weiten Weg Richtung London anzutreten. Dort pflegt ihre Schwester Leo mit der Freundin Helen auf einem Hausboot an der Themse eine bohemienartigen Lebensstil. Leo war acht Jahre vor ihr aus dem Elternhaus geflohen. In London war sie Helen begegnet und hatte sich in sie verliebt. Die beiden führen eine offene lesbische Beziehung, was aber nie direkt so ausgesprochen wird. Der Roman wurde schließlich 1944 geschrieben.
Die Initialzündung für Elsies aufregenden Trip in die Hauptstadt ist die Bekanntschaft mit einem Londoner Arzt namens Peter, von dem sie fälschlich annimmt, er sei der Märchenprinz, der sie sicherlich bald heiraten wird. Der hat aber gänzlich andere Motive. Die Handlung spielt vorwiegend auf dem Hausboot. Dort treffen die beiden Freundinnen auch Peter, der nicht nur Elsie über das Leben belehren will (ganz übles Mansplaining), sondern gerne eine Affäre mit den Bewohnerinnen des Hausbootes anfangen will. Schier unerträglich ist die arrogante Art, mit der er auf die Frauen, hier auf Leo, herabschaut: Ja, es würde sich bestimmt lohnen, sie ein wenig an die Hand zu nehmen. Immerhin hatte sie eine schwere Kindheit gehabt (immer ein lohnender Ausgangspunkt), aber, so vermutete er, es war noch nicht zu spät. Eine kleine Justierung zu diesem Zeitpunkt könnte möglicherweise ihr ganzes weiteres Schicksal beeinflussen. Sein Auftreten wirkt oft komödienhaft. Und dann ist da auch noch der Schriftsteller Joe, der auf einen nahegelegenen Insel in der Themse wohnt und eine ganz besondere Beziehung zu Leo hat.
Kaum zu glauben, dass es ein Roman 1944 geschafft hat, lesbische Liebe in den Mittelpunkt zu rücken, ohne anzuecken. Mary Renault beschreibt das Verhältnis der beiden Frauen aber so verhüllt, dass die damalige Leserschaft nicht unbedingt merken musste, was sie da vorgesetzt bekam. Ein Buch, das die Wiederentdeckung lohnt auch wegen seiner humorvollen Elemente. Die Beschreibung der (heterosexuellen) Liebesnacht wirkt heute reichlich altbacken. Der Schluss, so die Autorin später selbst, passt eigentlich nicht.
Die Herausgeberin Nicole Seifert hat ein informatives Nachwort verfasst.