Bereits 2014 im französischen Original erschienen, wurde dieser preisgekrönte Roman (Prix Femina) der Haitianischen Autorin nun mit einem grandiosen Sprachgefühl ins Deutsche übersetzt.
Sie beschreibt auf den 200 Seiten eine Familiensaga über einhundert Jahren, wie sie typischer für das gebeutelte Land nicht sein kann.
Auf der einen Seite sind die reichen Landbesitzer. Skrupellos und brutal, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, nehmen sie sich, was sie wollen. Häuser, Ländereien, Frauen, Mädchen, Leben. In diesem Fall ist es die Familie Mésidor, ständig auf der Suche nach noch mehr Macht. Auf der anderen Seite die weitverzweigte Großfamilie Lafleur, die Tag für Tag versucht, genug zum Essen und zum Leben zu ergattern. Die Lafleurs hatten einst Land, doch das fiel vor langer Zeit den Mésidors in die Hand. Seitdem kämpfen sie sich durch. Als die Militärs das Land übernehmen, ändert sich nicht viel. Trotz der Hoffnungen der armen Landbevölkerung. Arme wie Reiche sind an der Teilnahme beim Regime nicht abgeneigt, um ihr Stück am Kuchen zu ergattern. Die einen machen es, um es den Landbesitzern mal so richtig zu zeigen und vielleicht aus dem Elend ausbrechen zu können, die anderen tun es in der Hoffnung, noch mehr Macht und Besitz zu ergattern. In beiden Fällen geht der Schuss nach hinten los.
Die Autorin zeichnet hier ein markantes Sittenbild des ländlich geprägten Haitis. Die Kluft zwischen arm und reich bleibt immer bestehen, auch wenn sich die Grenzen manchmal in die eine oder andere Richtung verschieben. Das Leben der Landbevölkerung ist stark geprägt von der VoodooReligion mit all ihren Geistern, Göttern und Geschichten (sehr interessante Einblicke, und Voodoo ist keinesfalls das Klischee von Puppen mit Nadeln drinnen). Doch auch die Lehren (und Hartnäckigkeit) des Christentums fließen mit ein. Man pickt sich heraus, was gerade am Nützlichsten erscheint.
S.17: Ein Wechselspiel, das uns alle mit den Mésidors verband und sie, wider Willen, an uns kettete. Ein Wechselspiel, das wir, Sieger wie Gefangene, seit langer Zeit meisterlich beherrschten. [] Nur eine Geschichte der Menschen aus der Zeit, da die Götter noch nicht fern sind Da Meer und Wind ihre Namen aus Schaum, Feuer, Staub noch leise hauchen oder auch laut hinausschreien.
In klaren, und auch immer wieder sehr poetischen Worten, wird uns dieses Gesellschaftsbild nahe gebracht. Die Sprache ist intensiv wie ein Geschichtsbuch, oftmals spannend wie ein Krimi, weich wie ein Gedichtband und dennoch hart wie die Realität.
Wenn man mit einem offenen Geist in die Seiten eintaucht, erlebt man ein Gefühl für das Land, ohne es bereisen zu müssen. Ganz große Leseempfehlung.