Eine erste Liebe zwischen Festhalten und Vernichten, Aussterben und Weiterleben
Es brennt. In den Wäldern und auf den Screens. Die 15-jährige Era lebt mit ihrer Mutter am Waldrand und versucht dem schleichenden Prozess der Zerstörung etwas entgegenzusetzen, indem sie das Aussterben der Vögel dokumentiert. In einem Stream beobachtet sie ihre Mitschülerin Maja und deren Schwester Merle, die auf der benachbarten Lichtung Festplatten in die Luft jagen. Maja ist die Tochter zweier Momfluencerinnen, die versucht, die Erinnerungen an eine öffentliche Kindheit auszulöschen. Während Era Notizbücher führt, Zeichnungen anfertigt und all das Wissen, auf das sie Zugriff hat, zu ordnen versucht, bildet Maja eine zerstörerische Gegenkraft. Dennoch sind Era und Maja verbunden in ihrer Suche nach Intimität und analogen Reizen. Während die Turteltaube ausstirbt, verlieben die beiden sich ineinander. Aber nicht nur die Vögel sind bedroht: Als ein großflächiger Brand den Wald zerstört, verlieren auch die Mädchen einen bedeutenden Teil ihres Lebensraums.
Souverän und klug überzeugt Sironic mit einer neuen literarischen Stimme.
»Eine wilde, witzige, weise Expedition in unsere Zukunft. « Julia von Lucadou, Autorin von »Die Hochhausspringerin«
Besprechung vom 18.06.2025
Sound einer Jugend, die es vielleicht nicht gibt
Fiona Sironics Roman "Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft"
Am Anfang war die Turteltaube. Sie war, denn die Ich-Erzählerin Era in Fiona Sironics Debütroman erhält eine Benachrichtigung, dass die Letzte ihrer Art gestorben ist. Die Teenagerin geht zum Schrank und holt ihr Notizbuch, in das sie das Aussterben der Vogelarten akribisch dokumentiert - mit kleinen Steckbriefen, Fotos. Nicht nur den Verlust, auch das Leben dokumentiert sie, denn beides muss man zusammen denken, in den Zeiten, in denen sich das Buch bewegt. Die Natur geht verloren, das Leben geht weiter - eine Klimadystopie also, geschrieben in der Gegenwart?
Nach der Turteltaube kommt die Liebe. Erst über den Bildschirm, denn Era verfolgt Maja in Livestreams. Schließlich sieht Era Maja in echt, im Wald nämlich, dort, wohin die Mädchen samstags gehen und Sachen in die Luft jagen. Die Mädchen sind Maja und ihre Schwester Merle, Töchter von zwei sogenannten "Momfluencern" - das sind Influencerinnen, die das Leben ihrer Kinder in den sozialen Medien vermarkten. Da kommt ein wenig Ironie auf, denn den Ernst der Lage haben die Mütter nicht erkannt: Sie wollen, dass ihre Kinder "lernen, mit den hohen Erwartungen umzugehen", außerdem sollen die Kinder "wissen, dass es immer am wichtigsten ist, dass es ihnen gut geht".
Was ist aber, wenn es den Kindern damit nicht gut geht, wenn sie älter werden, zu Teenagern, denen es reicht, dass man alles über sie im Internet wiederfindet? Dann werden hier aus ihnen regelrecht Rebellinnen. Dann wird es zum Ritual, in den Wald zu gehen und mit kleinen Sprengsätzen heimlich alles vernichten zu wollen, was Erinnerung speichert. "[W]ir müssen alles löschen. Ich meine wirklich alles", schreibt Maja in einer Textnachricht. Dann legt sie los, mit ihrer Schwester, zerstört im Kleinen und im Großen, Festplatten und Archive.
Wäre da nicht die Geliebte, nämlich Era, für die es gar notwendig erscheint, alles irgendwie zu sichern, was zu verschwinden droht. Das prallt zusammen, denn während Maja an der Zerstörung arbeitet, versucht die Erzählerin zu bewahren. Aus der Zukunft erinnert sie sich an die Gegenwart, aus der Gegenwart an die Vergangenheit. Immer wieder wird die Klimakrise zum Thema, Waldbrände, Hitze: Nicht umsonst hat die Autorin im letzten Jahr für dieses Buch ein Stipendium im Rahmen des "Deutschen Preises für Nature Writing" erhalten. In Hildesheim und Wien hat die Autorin Kreatives Schreiben, Sprachkunst und Gender Studies studiert.
Dabei ist der Roman bruchstückhaft, immer wieder flammt etwas auf: die Liebe oder die digitale Welt. Einen roten Faden sucht man im Dschungel an Gefühlen und Eindrücken, die die Protagonistin vermittelt, vergeblich. Dass Maja ihn beim Stricken selbst verliert, mag ein Hinweis sein, dass es um Kohärenz auch nicht gehen soll. "Anything not saved will be lost" ist das Motto, das ist dem Text vorangestellt ist. Und bevor das passiert, bleibt wenig Zeit, die Gedanken zu sortieren, denn dann kommt plötzlich wieder eine Explosion, und alles geht auf Anfang. Fragmente einer jugendlichen Beziehung, einer jugendlichen Lebenswelt in der Zukunft - oder in der Gegenwart, eine Frage der Zeit.
Doch viel Zeit, die verwendete Sprache zu würdigen, bleibt nicht beim ganzen In-die-Luft-Jagen, Ratlosigkeit kommt auf. Wozu noch mal die Vogelnamen als Unterkapitel? Wozu die Schrägstriche, die sich scheinbar zufällig in den Text schleichen - ein Pausenzeichen, das Luftholen der Protagonistin? Nicht nur das wirkt ein wenig bemüht, den Sound und die Stimmung der Jugend aufzufangen, der vielleicht so gar nicht da ist. Den Faden zurückholen, das kann nur der flapsige Titel. PHILIPP SCHRÖDER
Fiona Sironic:
"Am Samstag gehen die
Mädchen in den Wald
und jagen Sachen in die Luft". Roman.
Ecco Verlag, Hamburg 2025. 208 S., geb.
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