Wo kommt plötzlich das geheimnisvolle, altmodische Telefon her mitten in den Ästen von Aylas Birke? Und warum tauchen Leute auf, die ihre geliebten Menschen damit anrufen? Vor allem diejenigen, die bereits verstorben sind. Alles, was Ayla will, ist, dass ihre Freundin Kiri nach Hause kommt. Aber sie wird auf keinen Fall einen Anruf mit diesem Telefon machen.
»Menschen, die du liebst, wirst du nie verlieren. «
Ayla und ihre beste Freundin Kiri waren schon immer Baummenschen. Jede von ihnen hat ihren Lieblingsbaum, in dem man sie am ehesten antrifft. Aber nach einem Unfall in ihrer Straße ist Kiri so weit weg, dass Ayla nur noch in ihrer Birke warten kann und sich danach sehnt, wieder mit Kiri zusammen zu sein. Dann taucht eines Morgens ein geheimnisvolles, altmodisches Telefon auf, mitten in den Ästen von Aylas Birke. Wo kommt es plötzlich her? Und warum tauchen Leute auf, die ihre geliebten Menschen anrufen? Vor allem diejenigen, die bereits verstorben sind. Alles, was Ayla will, ist, dass Kiri nach Hause kommt. Und sie wird auf keinen Fall einen Anruf mit diesem Telefon machen.
Besprechung vom 28.07.2025
Wie man Tote anruft
Alison McGhee erzählt von Trauma und Trauer
So schrecklich es auch ist: Kiri wird nicht zurückkehren. Nicht demnächst, zu ihrem elften Geburtstag, und auch an keinem anderen Tag. Sie ist gestorben, weil sie im Gewitter auf die Straße rannte, zu ihrem Hund, und das Auto, das in falscher Richtung durch die Einbahnstraße schoss, nicht mehr bremsen konnte.
Kiris Mutter weiß das, der Hund weiß das, Aylas Eltern, ihr Großvater und seine Freundin aus dem Nachbarhaus wissen das, die ganze Straße, alle. Nur Ayla: Man kann nicht sagen, dass sie nicht weiß, was mit ihrer besten Freundin geschehen ist. Aber dass Ayla es nicht wissen will, dass sie sich mit aller Kraft und wachsender Verzweiflung gegen die Erkenntnis und ihre Konsequenz stemmt, während sie in den langen Ferienwochen des Wartens und des Nicht-Wahrhaben-Wollens mehr und mehr verwahrlost: So viel steht fest.
So sitzt Ayla in der Birke, die ihre Eltern zu ihrer Geburt gepflanzt haben. Sie schaut die Straße herunter zu der Kiefer, in der Kiri nicht sitzt. Die beiden haben sich, wenn schon jede in ihrem eigenen Baum saß, immer mit speziellen Zweigen zugewinkt. In der zweiten Klasse haben sie einmal malen sollen, was sie am liebsten werden wollten. Sie haben ihre beiden Lieblingsbäume gemalt. Sie waren unzertrennlich.
In ihrem Kinderroman "Das Telefon in der Birke" erzählt Alison McGhee nicht nur Aylas Geschichte, sie lässt das Mädchen ihre Geschichte selbst erzählen: Sie findet - und das ist ein Ansatz, der auch einer versierten Schriftstellerin wie ihr alles abverlangt - für das begrenzte Sichtfeld eines traumatisierten Kindes Stimme und Stoff: das, was es von sich aus zu erzählen hat, ohne die eigene Perspektive zu verlassen. Es sind die Leser, die verstehen können müssen, wie es um Kiri steht, und wie um Ayla, ohne dass es ausgesprochen wird. Sie müssen erkennen können, mit welcher Sorge und Fürsorge sich ihre Familie um Ayla kümmert, ohne dass das Mädchen zulässt zu erkennen, was die anderen bekümmert: Es wartet doch nur. Höchstens noch drei Wochen, dann wird Kiri elf. Dann wird sie doch wohl zurückkommen.
Ayla hört den Hund heulen, sie hört die Nachbarn darüber sprechen, sie bekommt Besuch von einem nervigen Fünfjährigen, der ihr erzählt, sein Gecko sei gestorben. Sie lässt einige Erinnerungen zu, andere bekämpft sie. Sie träumt immer wieder denselben schrecklichen Traum. Und sie findet eines Tages in ihrer Birke etwas, das nicht in ihre Welt zu passen scheint: ein altes, schwarzes Telefon, mit schwerem Hörer und Wählscheibe, längst nicht mehr in Gebrauch, Kindern heute unvertraut.
Woher das kommt, möchte die Nachbarin wissen. Es sei ein Zaubertelefon, durch das man mit Toten sprechen könne, glaubt der Fünfjährige zu wissen. Selbst mit Geckos. "Hast du Hunger?", flüstert er schließlich in den Hörer. Ein jugendlicher Pizzabote unterbricht seine Touren, um mit seinem Vater zu sprechen. Die Nachbarin schleicht sich im Dunklen aus dem Haus, macht Anstalten zu telefonieren und kehrt dann doch um. Ein junger Mann mit kleinem Baby fragt Ayla, ob sie die Hüterin des Telefons sei. "Ich erzähle ihr die ganze Zeit von dir", sagt er schließlich in den Apparat. Eines Tages hebt auch Ayla selbst ab.
Es ist eine große Geschichte voller Trauer und Liebe, die Alison McGhee auf fast 200 gerade einmal halb bedruckten Seiten erzählt. So, wie Ayla kaum bemerkt, was um sie herum um ihretwillen geschieht, könnte dem Leser fast entgehen, wie sorgfältig die Autorin Motive platziert, verknüpft und wendet, wie behutsam sie den Blick ihrer Erzählerin weitet, sie innerlich wieder beweglicher macht. Was diese emotionale Feinarbeit für die Übersetzerin Birgitt Kollmann bedeutet hat, kann man nur ahnen. Das Ergebnis liest sich mühelos. In Aylas Warten zeigt sich immer mehr das vertrauensvolle Warten der anderen, ein Warten darauf, dass Ayla ihren Weg schon finden wird, zurück in ein Leben, in dem die Erinnerung an den Schreckenstag nie verblassen wird, aber auch nicht die Erinnerung an das Glück einer großen Kinderfreundschaft. "Es gibt mehr als das", hat Ayla am Telefon gehört. Und das ist wahr. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Alison McGhee: "Das Telefon in der Birke". Roman.
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. dtv, Reihe Hanser, München 2025. 208 S., geb., 18,- Euro. Ab 10 J.
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