Øystein Wiiks "Linges Mission", aus dem Norwegischen übersetzt von Maike Dörries und Günther Frauenlob, ist mehr als nur ein spannungsgeladener Spionageroman - es ist eine literarische Hommage an einen norwegischen Nationalmythos, der zwischen Fakt und Fiktion oszilliert. Mit dem realen Widerstandshelden Martin Linge im Zentrum gelingt es Wiik, Historie und Spannung in einem Roman zu verweben, der ebenso als Abenteuergeschichte wie als identitätsstiftende Erzählung gelesen werden kann.Wiik führt uns zurück in die Zeit der deutschen Besatzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg. Die Leser begleiten Martin Linge, Schauspieler, Offizier und Anführer der norwegischen Kommandotruppe "Kompani Linge", auf einer geheimen Mission gegen die deutsche Wehrmacht. Doch Wiik schreibt keinen nüchternen Tatsachenbericht - stattdessen inszeniert er ein (fiktives) Abenteuer, das sich tief in die Psyche des Helden eingräbt. Es geht um Loyalität, Selbstaufopferung und die Frage, wie viel ein Mensch - und ein Land - für seine Freiheit zu geben bereit ist.Stilistisch erinnert "Linges Mission" zuweilen an Ernest Hemingway: die klaren, prägnanten Sätze, die Konzentration auf das Wesentliche, das Unsagbare zwischen den Zeilen. Wie Hemingway schafft es Wiik, durch Reduktion Intensität zu erzeugen. Besonders die inneren Konflikte Linges - sein Ringen mit Angst, Schuld und Verantwortung - spiegeln die psychologische Tiefe, die Hemingway seinen Helden wie Robert Jordan in Wem die Stunde schlägt verlieh. Beide Autoren schreiben über Männer im Krieg, die zu Symbolen einer größeren Sache werden, aber im Innersten dennoch zerbrechlich bleiben.Doch wo Hemingway die große Tragödie im leisen Tod sucht, treibt Wiik die Spannung ins Dramatische: Explosionen, Geheimcodes, Verrat. Die Ähnlichkeit liegt eher im Subtext - im Bild des vom Krieg gezeichneten Mannes, der mehr für andere lebt als für sich selbst.Martin Linge ist in Norwegen nicht einfach nur eine historische Figur - er ist ein Mythos, ein Symbol für den Widerstand, für Mut und Integrität in dunklen Zeiten. Als Namensgeber der legendären "Kompani Linge" steht er für eine Generation von Norwegern, die im Exil kämpften, um ihr Land zu befreien. Dass Wiik sich ausgerechnet ihm literarisch widmet, zeigt, wie tief Linge im norwegischen Gedächtnis verankert ist.Für viele Norweger ist Linge eine Art nordischer Archetyp: still, stark, naturverbunden, aber auch gebildet und kulturell interessiert. Er war Schauspieler am Nationaltheater, bevor er zum Soldaten wurde - eine seltene Kombination, die seine Figur auch literarisch so reizvoll macht. In einer Zeit, in der nationale Identität neu verhandelt wird, wirkt "Linges Mission" wie ein Rückgriff auf eine moralische Instanz - und zugleich wie ein Appell an zeitlose Werte.Øystein Wiik gelingt mit "Linges Mission" ein spannender und zugleich vielschichtiger Roman, der Historie mit Action verbindet, aber nie den menschlichen Kern seines Protagonisten aus den Augen verliert. Für Fans historischer Thriller ebenso wie für Leser:innen, die sich für Norwegens kulturelles Gedächtnis interessieren, ist dieses Buch ein Volltreffer. Und wer Hemingway liebt, wird hier einige vertraute Töne wiederfinden - auf nordische Art.