Zweite Bände haben es ja immer ein bisschen schwer. Werden die Erwartungen erfüllt, wenn der erste Band begeistert hat? Wird die Geschichte spannend weitererzählt? Entwickeln sich die Figuren so, dass ich mit ihnen gehen kann? Der Blutrote Phönix von Amber Chen, übersetzt von Katrin Aust, kann all diese Fragen mit einem klaren Jein! beantworten. Das Dilogiefinale braucht sich keineswegs verstecken, ich hatte wieder viel Spaß beim Lesen, wenn auch einige Kritikpunkte.
Chen hat sich auf jeden Fall damit einen Gefallen getan, zwischen dem ersten und den zweiten Band zwei Jahre verstreichen zu lassen. Dadurch konnten die Figuren Abstand gewinnen, vor allem nach den nervenaufreibenden Ereignissen gegen Ende von Von Jade und Drachen. Ying hat sich in einem kleinen Dorf am Meer nett eingerichtet, ist verheiratet (wenn auch eher aus praktischen Gründen) und mit ihrem einfachen Leben mehr oder weniger zufrieden. Klar, dass sie versucht, das Leben ihrer Mitmenschen mit allerlei technischer Spielereien einfacher zu machen. Sie bekommt die Ingenieurin halt nicht raus aus ihr. Doch als politische Unruhen sie in die Hauptstadt der Neun Inseln zurückzwingen, ist sie auf einmal mit den Menschen konfrontiert, die sie vor zwei Jahren zurückgelassen hat. Da wären zum einen ihre Schwester Nian, die nun mit dem Obersten Kommandanten verheiratet ist. Und zum anderen natürlich der Oberste Kommandant Ye-yang selbst, jener, dem Ying ihr Herz geschenkt, das er aber nicht gerade vorsichtig behandelt hat. Spannungen sind garantiert, zumal Nian nichts von Yings und Ye-yangs gemeinsamer Vergangenheit weiß. Mit dem Blutroten Phönix ist noch dazu ein interessanter Gegenspieler auf das Spielfeld getreten, der die Figuren in der Geschichte hin- und herzuschieben vermag.
Der Fokus liegt bei diesem zweiten Teil auch auf der Bedrohung durch die Pirat*innen des Blutroten Phönix und deren Verbündete, weniger auf der Technologie, selbst wenn diese weiterhin eine große Rolle spielt. Das habe ich tatsächlich ein bisschen vermisst, denn das Silkpunk-Setting des ersten Bandes hat mich sowas von angesprochen. Natürlich blitzt es immer wieder durch, sind wir ja immer noch in der gleichen Welt.
Was mir leider nicht so gut gefallen hat, ist die Episodenhaftigkeit, mit der erzählt wird. Es fühlt sich so an, als ob verschiedene Bausteine abgearbeitet hätten werden müssen, um Seiten zu füllen. Vor allem die Szenen bei der Flotte des Blutroten Phönix hatten für mich eine gewisse Losgelöstheit von der übrigen Geschichte, selbst wenn die Pirat*innen auch später noch eine wichtige Rolle spielen. So sind die Figuren zeitweise Gefangene des Blutroten Phönix und müssen dabei allerlei Aufgaben erledigen, um sich ihre Freiheit zu verdienen. Ein Schiffsrennen gewinnen zum Beispiel. Macht Spaß, aber hatte für mich insoweit keinen großen Mehrwert.
Nichtsdestotrotz habe ich es geliebt, wieder in die Welt zurückzukehren. Der erste Teil war auch noch gar nicht so lang her, darum konnte ich mich gleich wieder zurechtfinden. Alte Bekannte treffen ist bei Fortsetzungen eh mitunter das schönste für mich. Ich mochte auch, dass mit Nian eine zweite Erzählperspektive hinzukommt, die von den Vorgängen in der Hauptstadt erzählt und eine weitere starke Persönlichkeit hervorbringt. Ying selbst bleibt nämlich ein bisschen hinter ihren Möglichkeiten zurück, was aber meiner Meinung nach ihrem Erzählstrang geschuldet ist. Nian hatte einfach mehr Entwicklungspotential.
Der Blutrote Phönix hat mir wieder viel Spaß bereitet, auch wenn er mich nicht so begeistern konnte wie der Dilogieauftakt. Jedoch möchte ich die Reihe allen empfehlen, die Silkpunk- und Young-Adult-Fantasy genauso lieben wie ich und Lust auf eine von der Qing-Dynastie inspirierten Geschichte haben.