Besprechung vom 28.05.2025
Mit Steinen im Wasser
Zwillingsgeschichten: Jente Posthumas Roman "Woran ich lieber nicht denke" über den Verlust eines Bruders
Es beginnt dieser Roman etwas reißerisch mit dem Wort "Waterboarding" und dem Versuch zweier Geschwister, herauszufinden, wie schlimm diese Foltertechnik wirklich ist. Wirklich schlimm, wie schnell klar wird. Klar wird aber auch, dass Leo und seine Zwillingsschwester, die Erzählerin von "Woran ich lieber nicht denke", ein eingeschworenes Paar bilden - und dass, wenn im ersten Kapitel "Waterboarding" gesagt wird, spätestens im letzten Kapitel jemand sterben muss, vermutlich durch Ertrinken.
So ist es denn auch, wobei der Leser schon nach wenigen Seiten erfährt, dass Leo es ist, der sich in einem Fluss in Amsterdam das Leben nehmen wird: "Auch Virginia Woolf hatte einen Pelzmantel angezogen, wusste ich. Sie füllte sich die Taschen mit Steinen und ertränkte sich in einem Fluss. Wie mein Bruder, aber das wusste ich damals noch nicht."
"Woran ich lieber nicht denke" heißt der im weiteren Verlauf gar nicht reißerische, sondern eindringliche Roman von Jente Posthuma, und genau davon handelt er, von den Dingen, an die die Erzählerin lieber nicht denkt, weil sie unausweichlich zum Verlust des von ihr meistgeliebten Menschen führen. So stellen ihre Aufzeichnungen also wider Willen ein Erinnerungsbuch im Stil von Joe Brainards "Ich erinnere mich" von 1970 und Georges Perecs gleichnamigen Werk von 1978 dar.
Posthumas Buch wirkt nicht ganz so aufzählungshaft wie seine berühmten Vorläufer, aber auch hier sind die Kapitel kurz, manchmal fast Vignetten. Die hinterbliebene Erzählerin ist obsessiv auf Wikipedia unterwegs und erstellt ein ganzes Register an Selbstmorden berühmter Schriftsteller. Als Zwilling verfolgt sie zudem auch intensiv die Spur von Zwillingsschicksalen, sei es dasjenige der Brüder Tibi und Miki Offer, die von Josef Mengele in Auschwitz schlimmsten Experimenten ausgesetzt und nach dem Krieg getrennt werden, im festen Glauben, der jeweils andere sei tot, sei es das Schicksal der Zwillingstürme des World Trade Centers.
Es sei Gesetz, dass immer einer mehr liebt als der andere, sagt Leo einmal zu seiner Schwester, und so zweifelhaft die Gültigkeit dieses Gesetzes ist, scheint es im Fall der Erzählerin doch zuzutreffen. Als wenige Minuten Jüngere schaut sie immer zu ihrem Bruder auf und will an der engen Beziehung, die die beiden naturgemäß miteinander verbindet, auch dann festhalten, als sie längst erwachsen sind und der Bruder seine eigenen Wege gehen möchte. Seine Existenz ist für sie sinn- und identitätsstiftend, und als er sich das Leben nimmt, hat sie das Gefühl, mit ihm sei ihre gesamte Vergangenheit verschwunden: "Ich kam nirgendwoher und ging nirgendwohin."
Dass der Roman, der auf der Shortlist zum Internationalen Booker-Preis stand und gegen "Kairos" von Jenny Erpenbeck verloren hat, einen starken Eindruck hinterlässt, liegt an seinem lakonischen, von Andreas Ecke treffend übersetzten Sprachduktus und den klug komponierten, keiner chronologischen Ordnung folgenden Kapiteln. Er reiht sich ein in die Vielzahl von Trauerbüchern, die in den letzten Jahren erschienen sind. Aber dieser Roman, der vom Aufwachsen zweier liebender Geschwister und ihrer allmählichen Entfremdung handelt, ist kein Roman der Selbstzerfleischung. Die Erzählerin hadert nicht mit sich; sie macht sich keine Vorwürfe, ihren Bruder nicht gerettet zu haben, denn die Krankheit, die ihn in den Tod treibt, lag, das ist ihr klar, außerhalb ihrer Macht und Verantwortung. TOBIAS LEHMKUHL
Jente Posthuma: "Woran ich lieber nicht denke". Roman.
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Luchterhand Literatur- verlag, München 2025. 256 S., geb.
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