Besprechung vom 14.06.2025
Dieses Gedankenspiel hätte dem indiskreten Willie gefallen
Farbige Schwüle: Tan Twang Engs Roman "Das Haus der Türen" erfindet die Vorgeschichte zu William Somerset Maughams Erzählung "Der Brief"
Vollmond. Ein einsamer Bungalow im tropischen Urwald. Ein Schuss. Auf die Veranda taumelt ein Mann, dicht gefolgt von einer Frau im Abendkleid, die fünf weitere Kugeln auf ihn abfeuert. Dann lässt sie den Revolver fallen. Die Kamera fährt auf ihr Gesicht zu und endet auf Bette Davis' Augen.
William Wylers Film von 1940 ist nicht die erste Verfilmung von W. Somerset Maughams Erzählung "The Letter" und wird die letzte nicht bleiben. Die Szene, in der eine verheiratete Frau ihren Liebhaber niederschießt, hat sich kein Regisseur entgehen lassen. Bei Maugham lesen wir zunächst nur die Version der Ehefrau. Sie bezichtigt das Opfer einer versuchten Vergewaltigung, der sie sich nur mit der Waffe erwehren konnte. Diese Darstellung wiederholt sie vor Gericht; ihre Glaubwürdigkeit wird erst erschüttert, als ein neues Beweisstück auftaucht: eben jener Brief, dessen Bekanntwerden aus Notwehr einen kaltblütigen Mord machen würde. Doch so weit wird es nicht kommen; jedenfalls nicht in Maughams Erzählung.
Auch der dritte Roman des 1972 in Penang geborenen Schriftstellers Tan Twan Eng spielt in seiner Heimat während der Kolonialzeit. Eng erzählt davon, wie Maugham zu seinem Stoff gekommen sein könnte. Und das ist, trotz der Fülle von Romanen, in deren Mittelpunkt namhafte Künstler stehen, ein origineller Ansatz; wenn man so will, eine Art Prequel.
Ausgehend von Maughams Aufenthalt in der britischen Kronkolonie Malaya, setzt die Rahmenhandlung im Jahr 1921 ein. Begleitet von seinem Sekretär Gerald Haxton, nimmt er die Einladung eines alten Studienkameraden an. Robert Hamlyns Ehefrau Lesley empfindet zunächst wenig Sympathie für ihre beiden Gäste, deren Liebesverhältnis sie bald durchschaut. Zugleich wächst ihr Bedürfnis, dem berühmten Schriftsteller etwas zu offenbaren: ein Geheimnis, dessen Bekanntwerden ihr zum Verhängnis werden muss: Sie beichtet, obwohl sie ahnt, dass er daraus eine Erzählung machen wird.
Für seine Indiskretion ist "Willie" berüchtigt.
Eng blendet zurück ins Jahr 1911, in dem eine gewisse Ethel Proudwood ihren Liebhaber William Steward tatsächlich erschossen hatte. Ihr glaubte das Gericht in Kuala Lumpur die angebliche Notwehr zur Verteidigung ihrer Ehre nicht.
Das Todesurteil ist aktenkundig; genau wie die Tatsache, dass der Sultan von Selangor Ethels Gnadengesuch schließlich stattgab und sie die Insel Penang verlassen durfte.
Gut möglich, dass Maugham die Kenntnis dieser Tatsachen genügte, um durch Hinzuerfinden eines Requisits eine spannende Erzählung daraus zu machen.
Doch Engs Lesart ist schöner: Im Roman veranlasst Ethel ihre Freundin Lesley zu einer Falschaussage und vertraut ihr dann nach und nach alle Hintergründe ihrer Tat an.
Und Lesleys Geschichte handelt auch von der Homosexualität ihres Ehemanns, ihrem eigenen Ehebruch und den Treffen mit ihrem Liebhaber, die sie in das Haus führen, das Engs Roman den Titel liefert: "Das Haus der Türen".
Tan Twan Engs Roman enthält all die Details, die Maugham sich ausdrücklich versagte. Im Vergleich zu seinem Sittengemälde erscheint "Der Brief" wie eine Kohlezeichnung. Gerade mal ein Absatz soll die Exotik des Schauplatzes etablieren: "Menschen aller Hautfarben" - Lärm, Rikschas, keuchende Kulis.
Was Maugham nur skizziert hat, hat Eng ausgemalt - paradox, wenn man bedenkt, dass der fremde Blick eigentlich genauer wahrnehmen sollte, was dem Einheimischen zur Gewohnheit geworden ist. Liebevoll lässt Tan Twan Eng seine Protagonistin Lesley, auch sie soll hier seit ihrer Geburt gelebt haben, die Schwüle und die Farben, die Gerüche und die Geräusche ihrer Insel beschreiben.
Mag sein, dass er dabei bisweilen etwas zu bunt oder zu dick aufträgt - Schönfärberei der herrschenden Verhältnisse wird man Eng kaum vorwerfen können.
Äußerst genau nimmt er die Beziehungen zwischen den Ethnien auseinander und ordnet sie zu nachvollziehbaren sozialen Strukturen. Gerade in den Kolonien, die so weit vom Mutterland entfernt lagen, konnten sich Briten, die oft der Mittelschicht entstammten, als unumschränkte Herren fühlen, die unter sich blieben und selbstverständlich über ein Heer einheimischer Dienstboten verfügten.
Ebenso groß wie der malaiische Bevölkerungsanteil war der chinesische: die "Straits Chinese", die bereits seit dem 15. Jahrhundert an der Straße von Malakka heimisch wurden und in Engs Roman entscheidende Rollen spielen: Sun Yat Sen etwa, ein Revolutionär, der tatsächlich eine entscheidende Rolle beim Sturz des letzten Kaisers von China spielte und damals von Penang aus den Widerstand organisierte.
Einer seiner Anhänger, der Herr im "Haus der Türen", wird Lesley Hamlyns Liebhaber.
Rassismus und Klassismus waren für Maugham und seine Leser nicht des Tadelns wert, sie gehörten zum Alltag in den Kolonien. Und zumindest das hat Eng mit seinem Vorbild gemein: eine moralische Wertung des Geschehenen findet nicht statt.
Tan Twan Eng stellt dem "Haus der Türen" ein Motto aus Maughams Memoiren voran: "Fakten und Fiktion sind in meinem Werk so eng miteinander verwoben, dass ich heute, im Rückblick, das eine kaum vom anderen zu unterscheiden vermag."
Auf welch kunstvolle Weise es hier gelungen ist, Somerset Maughams Leben und Werk in fiktive Handlungsstränge zu verweben, seine Motive zu reflektieren und seine Figuren zu variieren, macht "Das Haus der Türen" zu einem vielschichtigen Gedankenspiel, das wohl auch dem Meister selbst gefallen hätte, der allein einen Lektürezweck gelten ließ: "Lesen ist nur der Mühe wert, wenn es uns unterhält." BERND EILERT
Tan Twang Eng:
"Das Haus der Türen".
Roman.
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger.
DuMont Verlag, Köln 2025. 352 S., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.