Mein Lese-Eindruck:
Wie so oft in Jane Gardams Romanen, darf der Leser auch hier keinen spannenden Plot erwarten. Stattdessen bietet die Autorin eine genaue Beobachtung ihrer Figuren, die sie mit klarem Blick und unterkühltem Humor begleitet.
Marigold Green ist 17 Jahre alt, und ihre Sicht der Dinge bestimmt den Roman. Marigold wächst mutterlos auf, und ihr schweigsamer Vater bietet ihr wenig Abwechslung, von abendlichen Schachpartien abgesehen. Da ihr Vater als Erzieher in einem Jungen-Internat lebt, sind auch Marigolds soziale Kontakte auf ein Minimum beschränkt, was sie jedoch nicht stört, da sie es nicht anders kennt. Lebendigkeit und mütterliche Wärme bringt die junge Paula, die Hausmutter, in ihr Leben: eine erfrischend unkomplizierte und zupackende junge Frau, die keinerlei Selbstmitleid bei sich und ihren Schützlingen zulässt und sich liebevoll und resolut um deren Belange kümmert. Eine liebenswerte Figur!
Der Roman wahrt konsequent Marigolds Perspektive, und so gelingen der Autorin ausgesprochen skurrile, aber liebevolle Szenen, wenn sie Marigold z. B. die abendliche Donnerstagsrunde ihres Vaters beschreiben lässt. Nach Marigolds Ansicht treffen sich hier uralte Männer, die immer wieder vom Krieg erzählen und manchmal den Überblick verlieren, welcher Krieg eigentlich gemeint ist.
Marigolds Weltsicht ist die eines jungen Mädchens in der Pubertät, und diese Sicht gibt Jane Gardam gewohnt ziseliert und differenziert wieder. Das Auftauchen der Freundin Grace, die wie eine Lichtgestalt aus frühen Tagen in Marigolds eher graue Welt eintritt, erste Ausflüge in die Welt der Mode, die ersten Verliebtheiten in Marigold entwickeln sich neue Gefühle und neue Welten öffnen sich.
Aber sie wird auch mit Enttäuschungen und Desillusionierung konfrontiert. Und genau dafür steht der Titel Tage auf dem Land. Eine Einladung zu einem Wochenende auf dem Land lässt in Marigold große Hoffnungen aufkommen auf ein zärtlich-erotisches Miteinander und auf Informationen zu ihrer Mutter. Stattdessen erlebt sie ein Haus in einer Vorortsiedlung, eine feucht-fröhliche Party, Isolation und Desinteresse an ihrer Person: eine Desillusionierung in mehrfacher Hinsicht.
Das alles packt die Autorin in einen situativen Rahmen, der sich erst am Ende des Romans als tröstlicher Ausblick auf Marigolds Leben erweist.
Ein subtiler Roman über Pubertät, über erste Sehnsüchte, über Freundschaften und Enttäuschungen.