Besprechung vom 24.08.2025
Bauch, Beine, Buch
In Verena Keßlers neuem Roman "Gym" wird gestemmt, geschwitzt und gespritzt. Gesund ist das nicht, macht aber großen Spaß.
Von Susanne Romanowski
Sie hat keinen Namen. Sie braucht ihn nicht. Denn das "Mega Gym" ist ein Ort der Verwandlung, an dem nichts bleiben muss, wie es ist. Dort wird aus Fett Muskelgewebe, aus Ambition Obsession. Zumindest für die sogenannten High-Performer. Oder man liest Zeitung auf der Hantelbank und schmort dann in der Sauna wie die Rentner. Die Protagonistin in Verena Keßlers neuem Roman hat von ihrer Theke aus alle im Blick. Dort mischt sie "Muscle Hustles" oder "Sixpacks on the Beach". Das sind Proteindrinks, die mit frischem Obst und Gemüse nur noch leicht nach Kreide schmecken. Wer das eklig findet, kann das Buch gleich beiseitelegen, denn hier gilt: Wer fit sein will, muss Kohlenhydrate meiden. Notfalls mit püriertem Huhn.
"Gym" ist ein Text über Leistung, Selbstgeißelung und Schönheit. Fast unmöglich, dieses dünne Buch aufzuschlagen und nicht an den Sommerhit "Bauch Beine Po" von Shirin David zu denken. Darin geben Frauen nach einem Iced Matcha Latte alles: "Willst du den Body, dann musst du pushen (...) Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show". Die Kritik war laut. Der Text befeuere Schlankheitswahn bei Mädchen und stelle Frauen als materialistische Trottel dar. Und tatsächlich kann man sich Shirin David gut im "Mega Gym" vorstellen. Auf dem Klo stehen Duftkerzen, es läuft Musik von weiblichen Stars. Auch die Mitarbeiterinnen passen ins Klischee. Swetlana träumt vom Influencer-Ruhm, in den Leggings ist ihr Hintern ein "gigantischer Pfirsich". Tresenkollegin Milli ist so naiv, dass die Hauptfigur sie fast Mäuschen nennen will - doch sie ist "niemand, der Mäuschen sagt".
Sie, das ist eine Frau Mitte dreißig. Nonchalant erwähnt sie eine Bewährungshelferin. Was passiert ist, wie schlimm es wirklich war, das verrät sie erst ganz am Ende. Zuerst muss ein neuer Job her, einfach, stabil. Der Tresen in Ferhats Gym soll es sein, der ganze Raum ein "Palast aus spiegelnden Oberflächen". Doch der Chef druckst herum, dass sein Team "Wellness, Gesundheit und all das auch selbst ausstrahlen" müsste, ob sie wüsste, wie er meinte. Sie weiß um ihre unsportliche Form. Sie lügt: "Ich habe gerade erst entbunden." Sofort stellt Ferhat die angebliche Mutter ein, er sei schließlich Feminist. Eine Lüge, ein ulkiger Chef, zwei dusselige Kolleginnen und die verschrobene Neue. Keßler präsentiert ein Satirerezept, das simpler daherkommt als die Nachmittagssoaps, die über die Fernseher des Studios flimmern.
Doch wer die Romane der 36-Jährigen kennt, weiß: So einfach wird es nicht. Keßlers Debüt "Die Gespenster von Demmin" war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Dort geht es um Aufwachsen in einer mecklenburgischen Kleinstadt, in der sich im Frühling 1945 ein Massensuizid ereignete. Mit Feingefühl und dunklem Humor schuf die Autorin darin eine der umwerfendsten jugendlichen Figuren der letzten Jahre. In "Eva" thematisierte sie das Für und Wider der Mutterschaft. Was nach Thesenroman klingt, wurde durch präzise Beobachtungen und verschiedene Perspektiven lebendig. Beide Romane leben von Figuren, die trotz und wegen ihrer Makel Sympathien wecken. "Gym" ist anders.
Das Buch ist eingeteilt in drei Sätze, die übliche Struktur für Kraftübungen mit festgelegten Wiederholungen. Wie beim Sport gilt auch bei diesem Buch: Es wird mit jeder Bewegung härter. Ob die Protagonistin dabei Trainingspartnerin oder Rivalin ihrer Leser wird, bleibt unklar. Obwohl die Geschichte nur aus ihrer Sicht erzählt wird, entzieht sie sich permanent. Sie verdrängt, schwindelt, dreht glaubhaft durch.
Dabei beginnt alles harmlos. Sie trainiert gegen ihren "Erdnussflipbauch" an, lernt poetisch anmutenden Fachjargon: "Hip Thrusts, Split Squats, Deadlifts, Kickbacks, Step ups". Sie folgt Ferhats Trainingsplan, nur die Beckenbodenübungen lässt sie weg. Sie scrollt sich durch Fitnesstipps, durch die Instagram-Profile ihrer Kolleginnen. Sie lebt von Proteinen und Komplimenten für ihren Körper, nicht schlecht, so als frischgebackene Mutter! Sie lügt mühelos, man könnte meinen, sie fühle sich wohl. Doch in jedem ihrer Blicke steckt Herablassung. Denn sie ist anderes gewohnt. Da sind die Schlaglichter auf den früheren Job: der Blick über die Stadt aus dem Büroturm, Nächte über Tastaturen. Intrigen und Ellbogenmentalität auf dem Weg nach oben.
Ein Gegensatz drängt sich auf: Da das ungesunde Leben mit gekrümmtem Rücken über dem Schreibtisch, hier die gesunde Seele im gesunden Leib. Doch die Hauptfigur schafft es, sich in beiden Welten zu schinden. Alles, was weich und nachgiebig ist, lehnt sie ab. Spätestens als die muskelbepackte Vick das Studio betritt, hat sie sich festgebissen. Sie stemmt pausenlos, lässt Käse in ihrem Spind vergammeln, schlürft Eier roh - mit Matcha Latte hat das nichts mehr zu tun. Wer mehr trainiert, wird überboten. Wer weniger trainiert, ist ein "Nullgesicht". So nennt sie die Frauen im After-Baby-Kurs. Keßler zeigt anhand ihrer Hauptfigur einen körperlichen und geistigen Verfall in Nahaufnahme. Mehr noch, den Verfall einer Frau in ekelerregenden Details. Die sich dazu noch vornehmlich gegen andere Frauen wendet.
Dabei schmeichelt der Text Männern nicht. Den feinfühligen Ferhat kann die Erzählerin kaum respektieren. An ihren früheren Chef Thomas denkt sie ungern. Und ihr Expartner wird mit dem wunderbar resignierten Satz zitiert, ob sie sich "grundsätzlich vorstellen könnte, mal wieder mit ihm zu schlafen". Trotzdem sind es die Frauen, die sie primär anstacheln. Die Mutter, die ihr Anerkennung verwehrt. Die viel zu ambitionierte junge Kollegin in der Firma. Milli mit ihren Kulleraugen. Vick, dieser Berg von Frau. Echte Zwischenmenschlichkeit findet nicht statt. So brutal liest man das selten in der deutschen Gegenwartsliteratur.
Eher erinnert "Gym" an das Kino. An "The Substance", den Horrorfilm, in dem ein TV-Star sich im Jugendwahn zum Monster spritzt. Oder an "Love Lies Bleeding", den lesbischen Bodybuilder-Thriller, in dem Steroide Körper knechten. Sogar an den durchoptimierten Serienkiller aus "American Psycho", der zwischen Wahn und Realität nicht mehr unterscheiden kann. In allen Filmen fließt das Blut in Strömen, entwickelt die Drastik eine gewisse Slapstick-Qualität. In allen Filmen arbeiten sich die Hauptfiguren an ihrer Schönheit ab und streben doch nach mehr: Anerkennung und Exzellenz. So ist es auch in "Gym".
Statt Ästhetik sucht die Hauptfigur Schutz, verpanzert sich. Erinnerungssplitter suggerieren, wovor. Doch Keßler gelingt es, diese nicht als klare Auslöser für das Verhalten der Frau darzustellen. Trotz seiner Gewaltdarstellung, trotz der unzuverlässigen Erzählerin liest der Roman sich leicht. Grund dafür ist Keßlers Humor, der den Horror überraschend gut ergänzt. So gemein die Hauptfigur ist, so originell sieht sie die Welt: Sie ärgert sich über die "Milchbrötchenhaftigkeit" von Gym-Gästen, über ihren eigenen "U-Bahn-Körper". Der zackige Text ist voll von Pointen und Wortneuschöpfungen, voller Wut und Egoismus.
Genau das ist eine kaum zu behebende Schwachstelle des Romans. Durch die meinungsstarke Erzählperspektive werden Nebenfiguren zu Stichwortgebern: Ferhat, der performative Softie, Swetlana, die Influencerbraut, Seyda, die coole Supermama. Hinter all diesen Pappkameraden müssen auch Persönlichkeiten stecken, mit Träumen und Ambivalenzen. Bloß interessieren sie die Protagonistin nicht. Sie muss ihre Proteinzufuhr erhöhen, die Gewichte erhöhen, Empathie passt nicht zu ihr. So bleiben abweichende Perspektiven begrenzt.
Erst im dritten Satz wechselt die Handlung den Schauplatz, nur wenige Seiten später endet der Roman. Gern säße man noch ein paar Kapitel länger mit dieser tief verstörten, wortgewandten Erzählerin in der Kabine. Denn das Nähe-Distanz-Spiel der Erzählerin ist einnehmend, bis zum Schluss will man mehr über sie erfahren. Sichergehen, ob da nicht doch etwas ist jenseits von Kalkül und Konkurrenz. Doch irgendwann flackern die Neonröhren ein letztes Mal, spät am Abend schließt das Gym.
Verena Keßler: "Gym". Roman. Hanser, 192 Seiten
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