
Besprechung vom 05.10.2025
Nichts für Gelehrte
Judi Dench spricht über ein Leben mit William Shakespeare
In der BBC-Radiosendung "Desert Island Discs" dürfen die Gäste neben Musik und einem Gegenstand drei Bücher mit auf eine einsame Insel nehmen: Eins können sie sich aussuchen, dazu kommen die Bibel und die gesammelten Werke von Shakespeare. Auf letztere könnte die englische Schauspielerin Judi Dench, die zweimal zu Gast war, wohl verzichten - sie kann sie ohnehin auswendig. Dench ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen der Welt und gehört außerdem in die sehr britische Kategorie der "Shakespeare-Darstellerinnen". Lange Jahre war sie Ensemblemitglied der Royal Shakespeare Company und kann Stücke, die sie zuletzt in den sechziger Jahren gespielt hat, immer noch mühelos rezitieren.
Nun hat der Schauspieler Brendan O'Hea mit Dench über ihre Rollen, also Shakespeares Frauenfiguren, über zahlreiche Stücke und den Theateralltag gesprochen, über Proben, Fehler oder das Publikum, und diese Unterhaltungen aufgezeichnet. Dass die Aufnahmen, die eigentlich nur für das Archiv des Globe Theatre vorgesehen waren, jetzt trotzdem als Buch erscheinen, liegt an Denchs Witz und Charme, der sie auch für - zugegebenermaßen Shakespeare-begeisterte - Laien interessant macht.
Das Buch trägt den lustigen, Dench-haften Titel "Shakespeare. Der Mann, der die Miete zahlt", weil die Schauspielerin und ihr verstorbener Mann, der Schauspieler Michael Williams, den Dramatiker unter sich so nannten. Das ist nicht despektierlich gemeint. Kaum vorstellbar, dass irgendjemand Shakespeare inniger lieben könnte als sie. Über seine Verse sagt Dench an einer Stelle: "Ich muss noch nicht mal auf der Bühne stehen, um sie zu sagen, ich brauche sie nur leise vor mich hinzuflüstern, schon sprudeln die Endorphine." Immer hat sie die passende Stelle parat, die die Übersetzerin Christa Schuenke eigens für das Buch noch einmal ins Deutsche übersetzt hat.
Wenn Dench und O'Hea den Inhalt der Stücke detailliert durchgehen, merkt man, dass hier eine Chronistenpflicht absolviert wird. Man könnte manche Stellen überblättern, aber richtig langweilig wird es nie. Ständig leuchtet ein interessanter Gedanke auf, oder man lernt etwas über die Arbeit am Theater. Dench macht selbstironische Witze (sie habe, sagt sie über ihre vielen Bühnenstürze, eine vertragliche "Hinfallverpflichtung"), ist wahnsinnig klug, aber nicht akademisch. Wenn immer O'Hea mit einer etwas abseitigen Interpretation daherkommt, weist sie ihn brüsk zurecht: Das habe sich doch "irgend so ein Stubengelehrter" ausgedacht.
Als Schauspielerin wird man Dench in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr sehen. Im Dezember wird sie 91 Jahre als und ist inzwischen so gut wie vollständig erblindet. Eine Arbeit am Set traut sie sich deshalb nicht mehr zu. Auch dieser Umstand macht das Buch, das mit Zeichnungen von Dench illustriert ist, so schön: Es erlaubt ihr, wenn auch nicht als Schauspielerin, doch noch einmal auf der Bühne zu ihren geliebten Rollen zurückzukehren.
ANNA VOLLMER
Judi Dench/Brendon O'Hea: "Shakespeare. Der Mann, der die Miete zahlt". Dörlemann, 528 Seiten
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