.. ich bin selbst Musiker und habe das Buch gelesen. Schon während des Lesens fand ich die Herangehensweise dieses Rusbridger extrem. Reine Quälerei, gesundheitlich gefährlich, irgendwie sinnlos. Was soll dabei herauskommen? Doch wie ich feststellen musste, so hat dieser Autor viel Zuspruch für seine Vorgehensweise erfahren und komischerweise kaum Kritik. Auf den Jazz kann man diese Art und Weise des Lernens durchaus übertragen. Charlie Parker ist ein virtuoser und überaus begabter Musiker, aber: Wenn man sich vornimmt, aus dem Stand eines fortgeschrittenen Anfängers heraus innerhalb eines Jahres ein 5 minütiges Solo von Parker drauf zu haben, wird man dadurch zum Jazzmusiker? Und was will ich mir und meiner Umwelt damit beweisen? Nehmen wir einmal an, ich möchte ein cooler Jazzmusiker sein. Dann muss ich mir doch die Frage stellen, auf welchem Weg kann ich dies erreichen. Bestimmt nicht dadurch, dass ich mich zurückziehe und übe, dabei das unverrückbare Ziel vor Augen, eines Tages den großen künstlerischen und kommerziellen Durchbruch zu erleben. Der Knackpunkt, warum diese Herangehensweise nicht funktionieren kann, liegt in der Tatsache begründet, dass wir im Normalfall in eine Art Ökosystem eingebunden sind und dass wir uns gewöhnlich gemeinsam mit anderen weiterentwickeln. Die anderen, das sind Musiker, Freunde, Familie und Publikum und jeder von uns braucht Anregung und Zuspruch, gelegentlich auch Kritik. Natürlich kann man nicht alles gemeinsam lernen, es macht Sinn, sich auch einmal zurückzuziehen, um sich in Ruhe mit einer Sache zu beschäftigen. Aber man darf auf Dauer sein gesellschaftliches Ökosystem nicht vernachlässigen. Man sollte sichtbar sein und sein Publikum zum Verbündeten machen. Kommen wir noch einmal auf das Beispiel Charlie Parker zurück und nehmen wir einmal an, unser Musiker hat es geschafft, dessen Musik nachzuspielen. Nun trifft unsere Person auf andere Musiker (was schon per se nicht so einfach ist). Der langgehegte Wunsch geht in Erfüllung, der Beweis für die außerordentlichen instrumentalen Fähigkeiten kann nun erbracht werden. Doch an diesem Punkt werden Schwierigkeiten auftreten. Entweder ist die Anspannung so groß, dass sich unser Musiker außerstande fühlt überhaupt zu spielen (Lampenfieber) oder er spielt es wegen der innerlichen Aufregung so wenig überzeugend, dass Frust und ein weiterer Rückzug die Folge sind. Aber selbst dann, wenn unser Musiker sein Spiel mit großer Sicherheit abliefert , so wird er sich auch dann kaum Freunde machen. Ehrgeiz und Ego kommen nun halt mal nicht gut an. Wie sehr viel besser steht derjenige da, der in der Musikszene bekannt ist und seinen Begabungen vertraut. Für den einsamen Spezialisten ist und bleibt es schwierig. In diesem Punkt ist Musik-machen durchaus politisch und zwar im Sinne von ich möchte etwas aussagen und ich möchte gehört werden . Bevor man also perfekt spielt, muss man sich zunächst einmal ins Spiel bringen und in der Folge aufsteigen (zuvor also ein gutes Fundament bauen).