Seit 23 Jahren begleite ich Commissario Salvo Montalbano nun schon bei seinen Ermittlungen in der fiktiven Stadt Vigata. Damals noch in der Blüte seiner Jahre, steht er heute kurz vor der Rente und hadert mit dem Älterwerden. Sein neuster Fall konfrontiert ihn mit einem Überfall an einer Schule. Montalbano muss sich eingestehen, dass er nur wenig von dem Leben der Jugendlichen weiß.
Während die Verbrecher scheinbar untätig sind, gibt es auf dem Polizeirevier nicht viel zu tun. Trotzdem ist Montalbano genervt, denn eine schwedische Filmcrew hat den Ort auf den Kopf gestellt, um einen Film zu drehen, der in den 50ern spielt. Die Bewohner sind aufgerufen, Foto- und Filmmaterial aus der Zeit aufzutreiben. Ingegnere Sabatello hat einen alten Film seines Vaters gefunden, der über Jahre hinweg nur eine Mauer aufgenommen immer am gleichen Tag zur gleichen Uhrzeit. Als er ihn dem Kommissar bringt, kann auch der sich keinen Reim darauf machen, aber seine Neugier ist geweckt und er stößt auf ein mörderisches Familiengeheimnis.
Dank der Verfilmungen habe ich die Gesichter und Örtlichkeiten jedes Mal vor Augen, deshalb ist es ein bisschen wie »nach Hause kommen«, man kennt sich inzwischen. Montalbano, bekannt für seine Reizbarkeit und Launen, wird langsam altersmilde. Längst löst er seine Fälle nicht mehr auf Teufel komm raus, interessiert sich aber nach wie vor für die Irrungen und Wirrungen der menschlichen Seele. So ist es kein Wunder, dass er hin und wieder unorthodoxe Methoden anwendet, die Wahrheit etwas verbiegt, wenn es zum Schutz seiner Mitmenschen dient. Diesmal hat er allerdings den Bogen etwas überspannt, doch er hat auch den Mumm, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen.
Andrea Camilleris Figuren sind meisterhaft und bis ins Detail authentisch, die Landschaft in Sizilien, als Ausdruck seiner Heimatliebe, wird so bildlich geschildert, dass es jedes Mal wie ein Urlaub ist, wenn ich eins seiner Bücher lese. Die Dialoge sind unterhaltsam, mit feinem Humor gespickt und glaubwürdig gestaltet.
Aber Camilleri lässt es sich auch nicht nehmen, die Finger in die Wunde des Zeitgeschehens zu legen. Durch die Augen seines Protagonisten kommentiert er die Vereinsamung der Jugend, die nur noch an ihren Handys hängt. Er macht sich Gedanken über die Verschmutzung der Abwässer und den Tod tausender Flüchtlinge im Mittelmeer. Spielerisch lässt er es in die Handlung einfließen, was ihn letztlich immer ein Stück näher an die Lösung seines Falls bringt.
Einige seiner Fälle wurden verfilmt und sind in der ZDF-Mediathek zu finden.
Der Originaltitel »La rete di protezione«, übersetzt Sicherheit(Schutz-)netz, passt etwas besser zum Inhalt. Es ist das erste Buch, dass er aufgrund seiner Erblindung mit 92 Jahren nicht mehr selbst geschrieben, sondern diktiert hat. Und, wie ich finde, eins seiner besten.