Besprechung vom 09.11.2024
Von der Uniform in den Hoodie
Am Anfang war der Wasserschlauch: Anke Krey fotografiert Menschen, die auf einem Berliner Friedhof arbeiten.
Wie Chauffeure sehen die fünf Bestatter in ihren schwarzen Anzügen, den Schirmmützen und weißen Handschuhen aus. Sie stehen mit ernstem Blick auf einem bewaldeten Friedhof, und die Sonne schickt Strahlen durch die Wipfel der Bäume. Anke Krey hat die in verschiedenen Rollen Tätigen auf dem mehr als zweihundert Hektar großen Südwestkirchhof Stahnsdorf am Rande Berlins fotografiert. Sie bilden den Auftakt ihres Fotobands "Erden", und obwohl jeder Bestatter ein unverkennbares Gesicht hat, reibt man sich die Augen, sobald die Männer ihre Uniform abgelegt haben und in Hoodies, schweren Schuhen und Funktionsjacken auftauchen.
Nicht nur das letzte Geleit zählt zu ihren Aufgaben. Sie sind auch die Hüter des Friedhofs, mähen Wiesen, hegen den Wald ein, schützen Tiere, pflegen Denkmäler und bereiten die Friedhofskapelle für Trauerfeiern vor. Sie bringen eine Geschäftigkeit an diesen Ort des Schweigens, der für die meisten Menschen ausschließlich für die Trauerarbeit reserviert ist.
Auf die Idee, den Friedhofsalltag zu porträtieren, kam Krey, so erzählt es Klaus Honnef im Vorwort, als sie bei einem Besuch des Friedhofs einen hundert Meter langen, aufgerollten und im Unterholz versteckten Wasserschlauch sowie einen Stromkasten entdeckte. Beides wies für Krey auf ein verborgenes Leben in diesem "Garten des Todes" hin. Sie spürte den Hinweisen schließlich nach, wollte wissen, wie dieses Leben im Kleinen aussieht, und traf auf die Bereitschaft der Mitarbeiter der evangelischen Friedhofsverwaltung.
Innerhalb zweier Jahre besuchte sie diese Leute immer wieder, um sie bei der Arbeit zu fotografieren. Entstanden sind gerade in ihrer Unaufgeregtheit eindrückliche Bilder. Ein behandschuhter Mann legt mit einer Grabmatte eine offene Gruft aus, ein anderer reinigt die in warmes Licht getauchte Kapelle, und ein dritter schließt nach einer Trauerfeier deren Fenster. Verrichtungen, die Pietät erfordern.
Bei den von Krey festgehaltenen Waldarbeiten meint man hingegen die Kettensägen zu hören. Einmal fahren mehrere Träger einen Sarg auf einem Wagen zu einem Grab, wieder scheint die Sonne, und auf dem Foto der gegenüberliegenden Buchseite, die Beerdigung ist vorüber und die Trauergemeinde vielleicht schon beim Leichenschmaus, wird der Sargwagen zurückgebracht - von einem einzigen Mann, der seine Mütze inzwischen abgenommen hat und den Kopf leicht gesenkt hält. Man sieht sein Gesicht nicht, aber stellt es sich nachdenklich vor.
Auf einigen Fotos, Stillleben der Friedhofs- und Bestattungswelt, fängt Krey Momente ohne Menschen ein: eine Orgel, auf der durch zahllose Hände gegangene Gesangsbücher liegen, ein weißes, leicht zerknittertes Hemd mit schwarzer Krawatte im Umkleide- und Pausenraum, ein kleiner Engel neben dem Lenkrad eines Fahrzeugs. Vor einem von sattem Grün umgebenen Christusrelief läuft ein Rasensprenger. All diese mit feinem Gespür dokumentierten Augenblicke erzählen ohne jeden Voyeurismus von alltäglichen Dingen und der Trauer.
Das Ärgerlichste am Leben ist nicht der Tod. Ärgerlich aber ist seine Verdrängung, als ließe er sich auf Abstand halten, verschließt man nur die Augen vor ihm. Anke Krey öffnet sie uns wieder. MELANIE MÜHL
Anke Krey: "Erden".
Kerber Verlag, Berlin/Bielefeld 2024. Deutsch/Englisch.
96 S., Abb., geb.
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