Es ist kein Zufall, dass Caspar David Friedrichs berühmtes Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer einen Mann zeigt: Der Naturraum wird hier als Männerdomäne markiert. Frauen spielten als historische und literarische Wanderinnen selten eine Rolle. Anneke Lubkowitz, selbst von der Stubenhockerin zur Ausflüglerin geworden, hat sich aufgemacht, ihre Vorgängerinnen aufzuspüren und zu würdigen. Sie nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise voller überraschender Geschichten. Auf ihren Touren begegnet sie: Sophie von La Roche, Bettina Brentano, Karoline von Günderrode, Mary Shelley, Annette von Droste-Hülshoff, Mathilde Franziska Anneke, Emmy Hennings, Else Lasker-Schüler, Simone de Beauvoir, Annemarie Schwarzenbach und Octavia E. Butler. Anhand dieser Frauen zeigt sich, dass Wandern sehr viel mehr ist als das Erobern von Landschaften. Es geht vor allem um Autonomie und Freiheit - und den weiblichen Blick auf die Natur.
Besprechung vom 17.09.2025
Niemals in Absatzschuhen!
Anneke Lubkowitz schließt sich elf literarisch bedeutenden Wanderinnen an.
Wandern schien Männersache zu sein: Man sieht Jean-Jacques Rousseau und Robert Walser in der Schweiz, Henry David Thoreau in den Wäldern Neuenglands, Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer. Sie waren Rebellen, Aussteiger, Träumer. Heutige Wanderungen auf dem Jakobsweg, dem Salzpfad und auf Frankreichs versunkenen Wegen sind touristisch oder zur Bewältigung von Krisen angelegt.
Auch Frauen wanderten, erzählten von ihren Wanderjahren und stellten, während sie als Vagabundinnen beargwöhnt, in Bohemekreisen geschätzt und zuletzt in den sozialen Medien als Ikonen verehrt wurden, vor lexikalische Herausforderungen. Sind die vom "Plagedämon" Wanderlust und von Sehnsucht in die Ferne getriebenen Frauen "Wanderinnen", "Wandererinnen" oder "Wandrerinnen"? Soweit die weibliche Form in Betracht gezogen wird, unterscheidet sie sich je nach Wörterbuch.
Die Anglistin und Kulturwissenschaftlerin Anneke Lubkowitz, bekannt durch Studien zu Nature Writing und Psychogeographie, folgt nun elf "literarischen Wanderinnen", die sich zwischen dem achtzehnten und dem 21. Jahrhundert allein, zu zweit oder in Schwärmen, in Männerkleidung oder schicklicher Damentracht per Kutsche, Dampfschiff und zu Fuß auf den Weg machten. Sie erzählt zuerst von der Autorin und Zeitschriftengründerin Sophie von La Roche, die mit Spitzenhaube und auf Absatzschuhen unterwegs war und wohl als erste deutsche Frau das "Eismeer" des Mont Blanc erblickte; zuletzt macht sie bekannt mit der schwarzen amerikanischen Science-Fiction-Autorin Octavia Butler, die nie einen Führerschein besaß und zeitlebens eine beharrliche Fußgängerin blieb.
Aus der romantischen Literatur wusste man, dass Schriftstellerinnen wie Mary Shelley, Annette von Droste-Hülshoff, Bettina Brentano und Karoline von Günderrode in der Natur leidenschaftliche Empfindungen und Freiheit suchten und wie ihre Kollegen im wabernden Nebel über Mooren, Heiden und Seen gelegentlich wohlwollende Geister oder Monster fanden. Die Art und Weise, wie die "Fährtenleserin" Lubkowitz von der Neugier und den Widerfahrnissen der "vom Wege Abgekommenen" erzählt, ist gleichwohl erfrischend neu. Wanderungen anderer Rebellinnen überraschen. Wer hätte gedacht, dass Simone de Beauvoir den Mont Ventoux, ehedem bei Petrarca der Ort spiritueller Erfahrung, bestieg? Man sah die Feministin und Philosophin als Verkörperung der Großstädterin, als Flaneuse auf dem Pariser Asphalt oder als Raucherin und Diskutantin im Café de Flore, nicht jedoch als diejenige, die sich für "schweißtreibende Gewaltmärsche durch die Berge" begeisterte. Dort war sie am liebsten allein unterwegs und trug auf ihren Wandertouren stets ein altes Kleid und Segeltuchschuhe.
Das "langsame Reisen", eine Schule des Sehens, der Wahrnehmung überhaupt und deshalb eine Quelle der Vorstellungskraft, umfasst Wandern und Schreiben. Wie in der angloamerikanischen und längst auch europäischen Non-Fiction verbindet Lubkowitz den Aufbruch der "Rebellinnen zu Fuß" mit eigenen Aufbrüchen und teilt mit ihren Vorgängerinnen das Vergnügen am Weg und am Umweg sowie das Staunen und die Demut angesichts der Schönheit und Erhabenheit der unscheinbaren oder großen Natur. Wandern geht wie Schreiben ins Offene. Es führt die Autorin von der Entzifferung des Spruchs aus der Offenbarung des Johannes, "Und ich hörte eine Stimme vom Himmel her rufen: Schreibe!", auf dem verwitterten Grabstein Elisabeth von Plothos in Stahnsdorf bis zur Schreibklausur im hinteren, fast zeitentrückten Fextal. Die Globetrotterin Annemarie Schwarzenbach hatte dort Ruhe gesucht, bevor sie mit dem Rad stürzte und an ihren Verletzungen starb. Sie war nach Zentralafrika, Iran und Afghanistan gereist und hatte sich eigentlich für alles interessiert, stieß jedoch auch auf Sprachbarrieren. Die Frage, was die Frauen in der Fremde über die wohlhabende Europäerin dachten und wie sich ihre in einen Tschaderi gehüllten Nachfahrinnen fühlen, kann erst Lubkowitz sich stellen.
Sie zeichnet die Wege und Erzählungen der wandernden Frauen von der Epoche der frühen Alpenreisen bis in unsere Zeit der eklatanten ökologischen Krise nach und schildert Energie und Entschlossenheit, Mut und Sinnlichkeit der "Rebellinnen zu Fuß". Mit dem kritischen Blick einer heutigen Leserin auf die Rahmenbedingungen der Wanderungen und Expeditionen erkennt sie die Abweichung von Geschlechternormen sowie die Beharrungskraft sozialer und ethnischer Distinktionen.
"Rebellinnen zu Fuß" ist ein fabelhaft geschriebenes und schön gestaltetes Buch. Es hat einen weiten literatur- und kulturhistorischen Horizont und ist im besten Sinne unterhaltsam und nützlich. Am Ende gibt es für alle, die sich auf den Weg machen, praktische, auf dem Erfahrungsschatz der Wanderinnen beruhende Tipps: niemals in Absatzschuhen gehen, stets aufs Wetter achtgeben, den Wegzeichen ins Ungewisse folgen oder die gleichen Wege wieder gehen, eine Lupe einpacken, immer etwas nach Hause bringen - eine Kastanie, eine Notiz, einen Gedanken - und ein Archiv anlegen. Auf geht's! WALBURGA HÜLK
Anneke Lubkowitz:
"Rebellinnen zu Fuß". Auf den Spuren von
elf literarischen
Wanderinnen.
Verlag Kein & Aber,
Zürich 2025.
304 S., geb.
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