Besprechung vom 03.02.2020
Recht in Europa
Bücher für Studenten und Praktiker
Die Europäisierung des Rechts verlangt nach europäisch ausgerichteten Lehrbüchern des Rechts. Solche Darstellungen sind aber immer noch Mangelware. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass nun der zweite und letzte Band des "Gemeineuropäischen Sachenrechts" von Christian von Bar vorliegt. Er behandelt Besitz und Detention, den rechtsgeschäftlichen Erwerb subjektiver Sachenrechte und den aus ihnen erwachsenen Rechtsbehelfen. Der Osnabrücker Rechtslehrer von Bar hat mit diesem und dem bereits 2015 erschienenen ersten Band, der Grundprinzipien, Gegenstände und Erscheinungsformen des Sachenrechts umfasst, ein einmaliges Meisterwerk vorgelegt. Der kundige Leser erhält einen umfassenden Überblick über Eigentum, Besitz, Verfügungen und Störungsschutz in den Ländern der EU. Soweit der Rezensent dies inhaltlich beurteilen kann, etwa für den frankophonen Rechtsraum, ist die Darstellung äußerst gelungen.
Der Aufbau des Buches folgt nicht einzelnen Ländern, sondern orientiert sich an Rechtsinstituten und Rechtsproblemen. Als Beispiel mag hier der Verkauf fremder Sachen dienen. In Ländern wie Portugal, Frankreich oder Luxemburg ist ein solcher Verkauf nichtig. In Deutschland würde ein Jurastudent mit einer solchen Lösung durch die Prüfung fallen. Das zeigt, dass die Rechtsordnungen die Frage unterschiedlich beantworten, wie es um den Schutz vor Verfügungen eines besitzenden, aber nicht berechtigten Veräußerers bestellt ist. In Deutschland löst sich dieses Problem durch die Trennung der kaufrechtlichen und der eigentumsrechtlichen Ebene (Schuldrecht und Sachenrecht). In Frankreich erfindet man dagegen besondere Formen des gesetzlichen Erwerbs, darunter das Recht der (Spontan-)Ersitzung. "Gleichwohl lässt sich zwischen der vertragsrechtlichen Nichtigkeitssanktion und dem Sachenrecht der Verfügungen über Rechte Dritter kein innerer Zusammenhang darstellen; die beiden gedanklichen Fäden sind nicht miteinander verknüpft", resümiert von Bar zutreffend.
Nun stellt sich die Frage, für welchen Leser zwei Bücher gedacht sind, die auf knapp 1400 Textseiten das Sachenrecht Europas durchdringen. Kaum jemand wird die Bände komplett durcharbeiten. Glücklicherweise ermöglichen drei ausführliche Verzeichnisse eine lexikalische Nutzung: Gesetzesregister (nach Ländern sortiert), Entscheidungsregister (nach Rechtskreisen sortiert) und Sachregister. Wenn man - neben Deutschland/Österreich, Frankreich/Belgien und dem Vereinigten Königreich/Irland - einzelne Länder als Schwerpunkte ausmachen will, müssen Bulgarien, die baltischen Staaten, Griechenland, Italien, Malta, die Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn genannt werden. Nicht behandelt wird der russische Rechtskreis. Der typische Nutzer wird ein Praktiker sein. Auch Jurastudenten werden sich mit der Lektüre gut auf ihr Auslandsjahr vorbereiten können, zumal das Sachenrecht bei manchen Überblickswerken in andere Rechtsordnungen ausgespart bleibt.
Das trifft beispielsweise auch auf die neue "Einführung in das französische Recht" zu, die Sybille Neumann von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und Oliver Berg, Rechtsanwalt in Paris, vorgelegt haben. Das 150 Textseiten lange Werk ist dafür sehr aktuell, berücksichtigt es doch die 2016 in Kraft getretene große Schuldrechtsreform. Seitdem weist der "Code civil" mehr Ähnlichkeiten mit dem BGB auf und kodifiziert erstmals bestimmte Grundsätze. Außerdem wurde die komplexe und für Deutsche schwer zu verstehende Wirksamkeitsvoraussetzung "cause" - zumindest formal - abgeschafft. Das Buch berücksichtigt auch das jüngst beschlossene Ende der Amtsgerichte, die mit den Landgerichten zusammengelegt werden. Allgemein bekannt ist, dass das französische Kassationsgericht einen - im internationalen Vergleich - eher "außergewöhnlichen Urteilsstil" pflegt, da die Entscheidungen nur knapp begründet werden. "So wird in schwierigen Fragen teilweise ganz bewusst mit zweideutigen Formeln gearbeitet, die in der Regel wissenschaftliche Kommentierungen nach sich ziehen, die wiederum dem Gericht bei der Meinungsbildung behilflich sind." Im Jahr 2017 wurde immerhin ein Reformprozess eingeleitet, wonach wichtige Urteile mit einer "bereicherten Begründung" versehen sind. Zusätzlich werden nun sowohl der Bericht des berichterstattenden Richters als auch die Stellungnahme des Generalstaatsanwalts veröffentlicht. Der große Vorteil des Buches von Neumann und Berg ist seine Aktualität nach den rezenten Veränderungen im französischen Recht. Abschließend sei noch auf eine spannende Publikation der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens hingewiesen: Die Schrift "Nationale Variation in der deutschen Rechtsterminologie", die online kostenfrei abrufbar ist, enthält erkenntnisreiche Einsichten in Rechtsordnungen mehrsprachiger Länder, in denen auch Deutsch verbreitet ist, wie Belgien, Luxemburg oder Südtirol. Es ist spannend zu lesen, wie unterschiedlich deutsche Rechtsbegriffe hier verwendet werden, auch im Vergleich zu den ebenso behandelten Ländern Schweiz, Liechtenstein, Österreich und Deutschland.
JOCHEN ZENTHÖFER
Christian von Bar: Gemeineuropäisches Sachenrecht, Band 2. Verlag C.H. Beck, München 2019. 746 Seiten. 189 Euro.
Sybille Neumann / Oliver Berg: Einführung in das französische Recht. Nomos Verlag, Baden-Baden 2019. 153 Seiten. 28 Euro.
Schriftenreihe der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Band 13: Nationale Variation in der deutschen Rechtsterminologie. Eupen 2019. 183 Seiten. Kostenfrei (https://bit.ly/2QqiJqo).
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