Besprechung vom 23.01.2025
Liebe gern auf Abstand
Sanfte Erschütterung: Cristina Peri Rossis Gedichte
Auf die Faktualität des Geschriebenen legte es schon Joseph Roth 1925 im Vorwort zu seinem Roman "Flucht ohne Ende" an, als er die Maßgaben der Neuen Sachlichkeit formulierte: "Ich habe nichts erfunden, nichts komponiert. Es handelt sich nicht mehr darum zu 'dichten'. Das Wichtigste ist das Beobachtete."
Diese detailgenaue Betrachtungskunst prägt knapp hundert Jahre nach Roths Diktum auch die Gedichte von Cristina Peri Rossi. Allerdings in einem virtuosen Doppelspiel, denn zugleich vermag Rossi mit atemraubender Sicherheit auratische Momente und Stimmungen zu erzeugen. Das dialogische Gedicht "Bibliothek" etwa setzt ein: "Er fragt mich, sehr interessiert / was ich mit meiner Bibliothek gemacht hab / achttausend Bände." Für einen Moment sieht man sie vor sich: die Bände von Saroyan, Virginia Woolf, Onetti, Katherine Mansfield, die in den Gedichten erwähnt sind. Doch die lakonische Antwort lautet anders: "Verschenkt - sag ich. // Und du vermisst sie nicht - will er wissen. // Ich liebe sie gern auf Abstand / - antworte ich - / um nicht enttäuscht zu werden."
Rossi dichtet Poesie des sanften Ernüchterungsschauders, der einem über den Rücken läuft, wenn die Dichterin erst Bedeutsamkeit inszeniert, um aus dieser anschließend pointensicher die Luft rauszulassen. Im spanischsprachigen Raum gilt die 1941 im uruguayischen Montevideo geborene Cristina Peri Rossi als eine der großen Dichterinnen unserer Gegenwart. "Playstation", das auf Spanisch 2009 erschien, verleiht als lyrisches Album einer Zeit der Rekonvaleszenz Konturen: "Drei Monate lag ich im Bett / das rechte Bein hochgelegt / und spielte Playstation // - ein Auto hatte mich angefahren." Der Rückzug in die Spielstation (oder müsste man treffender vom Spielstadium der Existenz sprechen?) durchwebt die Selbstbetrachtungen und poetischen Gespräche: "Was macht du? - fragte sie mich // Dasselbe wie immer, antworte ich // Ich schreibe das eine oder andere, lese ein bisschen und / spiele Mahjong im Internet / ab und zu überfährt mich ein Auto."
Die Dialoge beruhen auf sprachlicher Wendigkeit, Geistesgegenwart, betörend treffsicherer Schlagfertigkeit. Schwer, sich einen Leser vorzustellen, der sich auch nur der Wirkung des ersten Gedichtpaares "Treue I" und "Treue II" entziehen könnte. In zwei protokollartig knappen Chroniken entwerfen diese beiden Gedichte in nuce eine Zeit-, Liebes- und Mediengeschichte. Berichtet die Dichterin doch, wie sie an den verschiedensten Lebensorten (Montevideo, Stockholm, Barcelona) mit immer neuen Liebespartnerinnen über vierzig Jahre hinweg, immer wieder hin und weg sei, wenn sie Mina hörte, "wie sie Margherita sang / von Cocciante". Im krisseligen Schwarz-Weiß-Fernsehen zuerst, dann auf Kassette, schließlich auf Youtube.
Während die Geliebten wechseln, bleiben die umwerfende Wirkung des Gesangs einerseits und das Lieben der Liebe andererseits konstant: "Soll jemand sagen, ich sei eine treulose Person", lautet der letzte Vers des Gedichts. So treu ist Rossi, dass noch hundert Seiten später Mina wieder einmal ihre Stimme erhebt. Ist das die bestmögliche Sachdarstellung eines eigenen Lebensrhythmus? Oder fällt das doch schon unter Komposition? In jedem Fall erwischt man sich dabei, wie man beim Lesen Mina, wie sie "Margherita" von Cocciante singt, auf Spotify aufruft.
In dieser Weise verschränken sich die einzelnen Gedichte zu einem lebensalltäglichen Porträt einer wunderbar eigensinnigen Dichterin. Die zweisprachige Ausgabe mit ihrer feinsinnigen, vorsichtig tastenden Übersetzung durch den Verleger Heinrich von Berenberg stellt ihrerseits einen Treuebeweis und eine Dankesgabe an die Dichterin dar, die ihrem deutschen Verlag im Jahr 2004 mit "Zigaretten" einen Erfolg bescherte.
Warum es sich für diesen Band lohnt, doch für einen Moment von der Playstation aufzublicken? Weil diese Gedichte zwar auf unsere Gespräche über Poesie nicht angewiesen sind, aber sie doch herausfordern. Und weil sie mit solchen Dialogen über den Buchrand hinaus auf spielerisch heitere Art Verbindungen zu knüpfen verstehen. CHRISTIAN METZ
Christina Peri Rossi: "Playstation". Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg. Berenberg Verlag,
Berlin 2024.
160 S., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Playstation" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.