Selten hat mich ein Buch so widersprüchlich berührt. Es war kein einfaches Lesen, eher ein langsames Eintauchen in ein Leben, das sich kaum fassen lässt. Die Geschichte der Wilden Wanda (1947-2004) hat mich nicht kaltgelassen zu heftig, zu ehrlich, zu nah an einer Realität, die man sonst lieber verdrängt.
Clemens Marschall erzählt mit großem Respekt und einer Sprache, die nie sensationslüstern wirkt. Er zeigt Wanda nicht als Mythos, sondern als Mensch, der viel zu früh gelernt hat, sich mit Härte zu schützen. Man spürt, wie viel Recherche in diesem Buch steckt, und doch liest es sich fließend. Besonders beeindruckt hat mich, wie sehr er die Atmosphäre des alten Wien einfängt dieses raue, dunkle, manchmal fast magische Milieu zwischen Überleben und Untergang.
Ich habe beim Lesen oft kurz innegehalten, weil ich verstehen wollte, wie jemand so leben konnte zwischen Stärke und Selbstzerstörung, Macht und Schmerz. Wanda bleibt schwer greifbar, und genau das macht die Geschichte so echt. Sie ist keine Heldin, keine Opferfigur, sondern jemand, der seinen eigenen Weg gegangen ist. Egal, wie sehr sie von außen verurteilt wurde.
Mich begleitete beim Lesen ein leises Staunen über ihr Leben. Über all das, was sie ertragen, entschieden und verloren hat. Ein Leben voller Brüche, und doch mit einer eigentümlichen Konsequenz.
Besonders eindrucksvoll ist, wie stark das Wien dieser Zeit spürbar wird. Dieses widersprüchliche Umfeld, in dem Wanda sich behaupten musste, ist fast eine eigene Figur in diesem Buch. Und gerade das macht den Reiz aus. Man sieht nicht nur Wanda, sondern auch das Milieu, das sie geprägt und das sie selbst geprägt hat.
Am Ende bleibt weniger das Bild einer Unterweltgröße als das einer Frau, die nie wirklich ankommen durfte. Eine, die immer kämpfte gegen andere, gegen sich selbst, gegen das Leben. Dieses Buch hat mir das Gefühl gegeben, sie wirklich kennenzulernen, ohne sie zu romantisieren, zu kritisieren oder zu verurteilen.
5 Sterne und eine Leseempfehlung.