
Besprechung vom 13.10.2025
Nostalgischer Seufzer
Thomas Schaafs Geschichte bietet einen wehmütigen Rückblick in Zeiten, als Werder noch um Titel spielte
HAMBURG. Es gibt einige Schätze in diesem Buch, einer ist dieser: "Er legt großen Wert darauf, dass die Spieler ihre Stutzen nicht auf links gedreht in die Wäsche geben, um es dem Zeugwart nicht unnötig schwer zu machen", erzählt Clemens Fritz.
Schön ist auch die Geschichte, dass Thomas Schaaf ganz persönlich Diegos Läufe überwachte - indem er kurzerhand mit dem brasilianischen Starspieler, dem er geraten hatte, ein paar Pfunde loszuwerden, Runden drehte.
Schon legendär ist hingegen sein Terminus "bezahlter Urlaub", bezogen auf den notorischen Zuspätkommer Ailton: Als dieser wieder einmal nach allen anderen im Trainingslager auf Norderney ankam (mit dem Taxi, übrigens), bat ihn Schaaf zur Kasse: "Es ist bezahlter Urlaub. Toni hat Urlaub gemacht und bezahlt jetzt dafür."
Daniel Cottäus' gelungene Biographie über die Werder-Legende ist keine Anekdotensammlung. Hier addieren sich gut 300 Seiten zu einem Lesevergnügen aus 40 Jahren Bundesliga. Dass Cottäus dabei zeitlich geordnet Schaafs Laufbahn in Grün und Weiß nacherzählt, hat den Vorteil, dass auch flüchtige Leser dort eintauchen können, wo sie etwas interessiert.
Wer alles liest, den ersten Teil über den Spieler, den zweiten Teil über den Trainer Schaaf, bekommt den Eindruck eines ehrlichen, strebsamen, geradlinigen Menschen, der sich an seinen Plan hält, Versprechungen nie bricht, für seine Mit-menschen da ist - und in seinen 14 Jahren als innovativer Werder-Trainer viele Karrieren gebahnt hat. Ob Ailton, Johan Micoud, Tim Borowski, Torsten Frings oder Paul Stalteri, der anfangs bei ihm zu Hause wohnte: Alle sprechen in den höchsten Tönen von Schaaf.
41 Jahre als Spieler, Trainer und Technischer Direktor sind Biograph und Titelperson in 16 Monaten immer dienstags zu Hause bei Schaaf in Stuhr bei Kaffee (reichlich) und Berlinern (manchmal) durchgegangen. Dass Daniel Cottäus die Schattenseiten der langen Beziehung nicht auslässt, macht das Werk glaubwürdig - nichts anderes hätte Schaaf entsprochen.
Von hinten gelesen, verblasst der Glanz des Doublesiegers von 2004 nämlich, denn die Stationen als Technischer Direktor bei Werder, als Retter in der Abstiegssaison 2020/21, als Coach von Hannover 96 und bei der Eintracht blieben alle erfolglos, wobei es Schaaf in Frankfurt gefiel und er gern länger geblieben wäre.
Nach einer unwürdigen Auseinandersetzung samt schlechter Kommunikation um seine Vertragsverlängerung als Technischer Direktor Werders begann eine Eiszeit zwischen ihm und seinem Herzensklub; besonders die Beziehung zum damaligen Geschäftsführer Frank Baumann hat gelitten.
So blieb Schaaf 2022 bewusst der Mitgliederversammlung fern, auf der er die Goldene Ehrennadel für seine fünfzigjährige Mitgliedschaft bekommen sollte. Ein Umdenken setzte ein: "Die Frage ist doch, wie viel Groll willst du im Leben mit dir herumschleppen und es dir dadurch selbst schwer machen?"
Im Oktober 2024 hatten sich die Wogen geglättet, und Schaaf nahm die Auszeichnung an. Seit 2025 betreut er die Werder-Legenden-Mannschaft. "Werder und ich - das kann und wird niemals jemand zerstören", sagte Schaaf, inzwischen 64 Jahre alt, bei der Buchvorstellung in der Bremer "Glocke" gerührt, zu der 1400 Menschen samt vielen Weggefährten wie Klaus Allofs kamen; Schauspieler Matthias Brandt las Auszüge. Schaaf sagte trocken: "1400 Fans sind okay, aber ich hätte mir das Weserstadion gewünscht."
Vor 15 Jahren spielte Werder hier das letzte Mal europäisch (gegen Inter Mailand in der Champions League), vor 16 Jahren gab es den letzten Titel (im Pokal gegen Leverkusen). Klose, Ailton, Micoud, Diego, Özil und de Bruyne liefen hier auf. Als Spieler in den achtziger Jahren unter Otto Rehhagel und als Trainer war Thomas Schaaf häufig erster Konkurrent der Bayern. Bremen war zweites Kraftzentrum des deutschen Fußballs, bestaunt im Ausland, denn Schaaf erfand die Raute, spielte Pressing, mochte ein 5:4 lieber als ein 1:0.
Es waren Jahre, als man ihn auf dem Handy anrief, plauderte und die Zitate einfach vertrauensvoll verwendete. Gute, alte Zeiten? Im Winter 2009 sieht Schaaf abends im Urlaub in Österreich auf dem gegenüberliegenden Kamm unzählige Hirsche: "Das sind Momente, die in unserer Welt gar nicht mehr richtig wertgeschätzt werden. Es geht nur noch um Extreme. Alle wollen hoch hinaus. Aber diese Natur ist einfach wunderschön. Das löst große Ruhe in mir aus." Die große Zuneigung, die ihm rund um seine Biographie nicht nur in Bremen zuteil wird, beinhaltet einen nostalgischen Seufzer: Das Fußball-Business hat sich, was Abgehobenheit betrifft, nachteilig entwickelt. Da kann ein wehmütiger Rückblick mit Thomas Schaaf als Helden ganz tröstlich sein. FRANK HEIKE
Daniel Cottäus: Thomas Schaaf. Die Biografie.
Die Werkstatt, Bielefeld, 2025. 320 Seiten
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