"Wer ein Kind hat, hat einen Sinn. Wer ein Werk hat, hat einen Sinn. Wer beides hat, überdauert den Tod in doppelter Weise. Von einem Menschen wie mir bleibt nichts."InhaltDie Ehe von Linda und Richard geht in die Brüche, nachdem sie ihr einziges Kind durch einen tödlichen Unfall verloren haben. Sonja war gerade mal 17 Jahre alt und zum ersten Mal richtig verliebt, das ganze Leben lag noch vor ihr und ihre Eltern liebten sie, doch an den bitteren Verlust erinnert nur noch ein weißes Fahrrad am Straßenrand, welches Linda regelmäßig besucht und pflegt. Die Tochter aber ist verloren und mit ihr der Lebenssinn der Mittvierzigerin, die nach und nach realisiert, dass ihr bisheriges Leben nicht einfach weiter gehen kann. In ihrer Trauer zieht sie sich auf der Welt zurück und beginnt abgeschieden von ihren bisherigen Lebensansichten, ganz allein ihr drittes Leben, ihr Dasein ohne den Menschen, der sie zu der machte, die sie jetzt nicht mehr sein will.MeinungMein letztes Buch der Autorin konnte mich sehr begeistern und hat genau meinen Lesegeschmack getroffen und dieses hier stand auch schon geraume Zeit auf der Wunschliste, bis ich es nun zur Hand genommen habe, tatsächlich mit großen Erwartungen, gerade weil mir die Thematik so wichtig und nachhaltig erscheint und der Tod eines Kindes für die Eltern immer ein herber Verlust ist, erst recht, wenn es wie hier ein viel zu früher Tod vollkommen ohne Vorankündigung ist. Leider kenne ich etliche Familien aus meinem Bekanntenkreis, denen genau dies passiert ist und die allesamt mit den Folgen des Unglücks kämpfen.Der Schreibstil wirkt auf mich authentisch und sehr realistisch, er fängt die Nöte ein und transportiert Gefühle, bleibt aber distanziert und birgt wenig Dramatik und Emotion. An dieser Stelle hätte ich mir aber genau das gewünscht - einen Text, bei dem man leiden kann, der zu Tränen rührt und das Unbegreifliche ganz nah in die eigene Welt holt. Linda war mir leider unsagbar fremd, und da sie die Haupterzählerin des Textes war, konnte ich auch zu den Randfiguren nur bedingte Nähe aufbauen. Am schwierigsten fand ich Lindas Trauerbewältigung, weil sie sich so restlos aus ihrer Welt verabschiedet, wie es ihr nur möglich ist. Das dadurch ihre Ehe auf der Strecke bleibt, konnte ich zwar nachvollziehen, nicht aber vollumfänglich akzeptieren. Vor allem, weil ich gerade in Beziehungen, in denen ein jüngeres Kind stirbt, immer genau das Gegenteil beobachtet habe: die Partner sind wieder viel enger zusammengerückt, als zuvor.Auch die depressive Stimmung und den täglichen Kampf mit den Schlaftabletten, gepaart mit absoluter Lethargie haben mich stellenweise eher abgeschreckt. Der letzte Teil wird wieder etwas munterer, doch die tote Tochter ist ein Faktum, eines, welches nie wieder vergeht, ganz egal wie gut oder schlecht die Tage laufen, immer gibt es diese Momente der Erinnerung und des Gedenkens - für Linda wird es weitergehen, sie hat sich aus ihrer lähmenden Trauer herausgekämpft, musste einsehen, dass die Vorstellung eines intakten Familienlebens mit Enkeln unwiderruflich verloren ist, doch sie kann das nun akzeptieren ...FazitEin klassischer Text mit viel Raum zum Nachdenken und Nachspüren, doch immer auch mit Abstand. Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen lebensnahen, aussagekräftigen Roman mit schwerer Thematik, die hier trotzdem ohne pure Verzweiflung vorgetragen wird. Die Gedanken eines zutiefst verletzten Menschen, den das Schicksal über Nacht das Kind geraubt hat, wurde umfassend erörtert - angefangen von dem absoluten inneren Rückzug bis hin zu traurigen Selbstmordgedanken und dem langsamen Zurückfinden ins Hier und Jetzt. Jeder geht mit Trauer anders um, einen Weg kann man hier als Leser gemeinsam mit der Protagonistin gehen, hinein in ihr persönliches Universum, in dem es zwar alles gibt, was es auch vor Sonjas Tod gab, nur ohne Glück und ohne Leichtigkeit.