Besprechung vom 19.11.2024
Aufgebauschte Spionage
Wollte der BND nur informieren, oder hatte er eine eigene Agenda? Ein Aufsatzband geht dem nach und zeigt: Der Geheimdienst wusste weniger, als er vorgab.
Geheimdienste umgeben sich - auch um ihre Existenzberechtigung nachzuweisen - gerne mit einer Aura der Allwissenheit. Dass die Wirklichkeit oft viel weniger glorreich ist, hat in Deutschland zum Beispiel die Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte der Frühzeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. Einschränkend muss freilich hinzugefügt werden, dass dort zuweilen ein Hang erkennbar wurde, das Forschungsobjekt so schlecht wie möglich aussehen zu lassen.
Die Wissenschaft ist heute in der glücklichen Lage, die Arbeit der Dienste während des Kalten Krieges auf vergleichsweise breiter Quellengrundlage betrachten zu können, wie Herausgeberin Daniela Münkel in der Einleitung dieses Sammelbandes hervorhebt. Dass dies fast ausschließlich für Staaten gilt, die heute Demokratien sind, ist leider folgerichtig, aber auf absehbare Zeit nicht zu ändern. Eine wichtige - und auch bei guter Quellenlage oft nicht befriedigend zu beantwortende - Frage dabei ist, inwieweit die Dienste die politischen Entscheidungsträger lediglich informierten oder ob sie versuchten, Politik auch zu "machen", aus welchen konkreten Motiven auch immer.
Dieses Problem stellt sich sowohl in Ost als auch in West. In der Bundesrepublik beispielsweise versuchte der erste Präsident des BND, Reinhard Gehlen, auf zweierlei Weise Einfluss auf die Bonner Politik zu nehmen. Zum Ersten strebte er für sich und seinen Dienst (in dieser Reihenfolge) die dominierende Stellung auf dem Geheimdienstsektor an. Wäre es nach Gehlen gegangen, wären auch die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf den BND übertragen worden. Das wussten allerdings die Alliierten zu verhindern. Zum Zweiten hatten der BND und sein Präsident mit dem Problem zu kämpfen, dass sie sowohl in der DDR als auch im weiteren Ostblock kaum über gute Quellen verfügten.
Die Materiallage für allfällige Analysen und Prognosen war also dürftig. Dies kompensierte der BND, indem er Weltanschauungsanalysen nach Bonn schickte. Deren strikt antikommunistische Ausrichtung traf in der Regierungszentrale auf viele offene Ohren. Der reale Erkenntnisgewinn allerdings, das merkten schon viele Zeitgenossen, war sehr überschaubar.
Das ändert sich im BND erst nach der Verabschiedung Gehlens im Jahre 1968. Dessen Nachfolger Gerhard Wessel reformierte den Dienst in einem jahrelangen, komplizierten Prozess. Der BND sollte, so sein Credo, möglichst konkrete, möglichst vorausschauende Informationen liefern und die Politik in die Lage versetzen, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Inwieweit das gelungen ist, muss künftige Forschung zeigen, weil auch beim BND weiter vieles nicht für Historiker zugänglich ist. Besonders problematisch wird es, wenn Material von ausländischen Partnerdiensten in den Akten auftaucht. Das unterliegt besonders strengen Geheimhaltungsvorschriften.
In der DDR musste der langjährige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke nicht nur mit den Unzulänglichkeiten des Systems kämpfen. Er hatte auch wiederholt das Problem, bei Machtkämpfen innerhalb der Führung der Staatspartei SED am Ende auf der "richtigen" Seite, also der des Siegers, zu stehen. Deshalb behielt sich Mielke die Entscheidung darüber persönlich vor, wer in der Führung welche Informationen bekam. Innenpolitisch hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Aufgabe, über die wirkliche Stimmung in der Bevölkerung zu informieren. Das konnte nach Ansicht der MfS-Leitung nur über Inoffizielle Mitarbeiter (IM) geleistet werden, da alle anderen Institutionen nur einseitige Berichte lieferten. Damit ist dann das ganze unauflösbare Dilemma dieses Staates treffend beschrieben. Es bleibt erstens die Frage, ob die IM wirklich objektiv berichteten. Diese hatten auch ganz eigene Interessen.
Gravierender noch war, dass das MfS zwar für sich in Anspruch nahm, alle Probleme erkannt und auch nach oben gemeldet zu haben. Nun ist aber gerade in Systemen wie der DDR das "Verschönern" von Informationen umso ausgeprägter, je weiter nach oben in der Hierarchie sie gelangen. Wie sonst ist zum Beispiel zu erklären, dass jemand wie der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu noch im Angesicht des sicheren Todes von seinem Tribunal steif und fest behauptete, eigentlich sei doch alles gut in seinem Rumänien?
Die Vor- und Nachteile solcher Sammelbände kommen auf diesen gut 200 Seiten deutlich zutage. Es werden sehr viele, auch grundsätzlich wichtige Aspekte behandelt. Andererseits verlieren sich einzelne Autoren immer wieder in Details, was arbeitsökonomisch sinnvoll ist, weil es sich bei vielen Beiträgen um Synthesen von Erkenntnissen aus anderen Publikationen der jeweiligen Autoren handelt. Andererseits sind es für die Leser oft ein paar Kleinigkeiten zu viel.
Zudem wird in dem Buch über laufende Forschungsprojekte informiert. Da es sich um einen Tagungsband handelt, ist das einerseits nur logisch. Andererseits stellt sich nachdrücklich die Frage nach der besten Publikationsform für solche Informationen. Mit anderen Worten: Gehört so etwas wirklich zwischen Buchdeckel? Es heißt ja, es seien zwischenzeitlich digitale Publikationsmöglichkeiten erfunden worden. Das wäre aber vielleicht ein Thema für einen weiteren Sammelband über die Zusammenstellung von Sammelbänden. PETER STURM
Daniela Münkel, Ronny Heidenreich, Martin Stief (Hrsg.): Geheimdienste, Politik und Krisen im Kalten Krieg.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2024. 220 S., 20, - Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Geheimdienste, Politik und Krisen im Kalten Krieg" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.